Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

301 „Edler Markgraf, in dem Zimmer, in dem meine Adelheid ihre lieben Augen schloß, da hängt ein Kreuz. An dessen Fuß kann man das Christus¬ wort lesen: Komm, folge mir nach! Und fern von hier, im Schwarzwald, da kenne ich ein einsames Kloster des heiligen Benediktus, über dessen Pforte steht das gleiche Wort: Veni sequere me! Komm, folge mir nach! — Durch dieses Tor gedenke ich zu gehen!" Da umarmte ihn Ottokar noch einmal und rief ihm nach: „Glück auf, auf Wiedersehen!“ * * * Abermals waren Monate vergangen. Die Klosterkirche von Sankt Blasien im Schwarzwald prangte im reichsten Schmucke, beging ja doch der Konvent der Benediktinermönche ein gar seltenes Fest, die Aufnahme eines hochangesehenen Ritters, des jungen Grafen Eberhard, des Landesherren Bruders, in den Orden. Der greise Abt Gerung von St. Blasien hatte im Beisein vieler Adeliger die Festmesse der heiligen Apostelfürsten Peter und Paul gelesen, nun setzte er sich auf einen Stuhl an den Altar und ein schmucker Ritter trat zu ihm heran, um in seine Hand den dreifachen Eid der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams zu leisten und für das abgelegte Schwert den schwarzen Ordenshabit einzutauschen. Demütig kniete der stattliche Mann hin vor den Abt und mit fester Stimme leistete er die verlangten Gelübde. Dann stand Abt Gerung auf und rief mit lauter Stimme durch die Hallen der Kirche: „Eberhard, Graf von Württemberg, von nun ab sollst du nicht mehr Herr von Urachburg, sondern unser demütiger Mitbruder sein, von heute an ist dein Name nicht mehr Eberhard, sondern Bertholdus. Bruder Berthold, ich nehme dich auf in die ewige Gemeinschaft unseres Ordens. Gedenke stets des Spruches über der Pforte unseres Klosters: Veni, sequere me! „Komm und folge mir nach!“ Als Bruder Berthold nach der heiligen Handlung von seinen Freunden und Verwandten Abschied nahm, da lag ein tiefer, überirdischer Friede auf einen Zügen, er war nun Ritter dessen geworden, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Wohl hatte er noch manches Gefecht mit sich selber auszutragen, wenn die Erfüllung der strengen Ordensregel ihm anfangs schwerer fiel als seinen Brüdern, doch er kannte gegen sich selbst keine Feigheit, er opferte mutig alles dem, der ihn zur Nachfolge gerufen hatte. So gab er allen ein herrliches Beispiel. Bald wählte man ihn zum Stellvertreter des Priors und übertrug ihm das wichtige Amt eines Klosterbibliothekars. Jahr um Jahr verging und Bruder Berthold wurde über Verlangen des Abtes Hartmann I. von Göttweig dorthin als Prior entsandt. Und wieder verflossen die Jahre, die Haare Bruder Bertholds begannen grau zu werden, da wählte man ihn zum ersten Abt von Garsten. Schon seit dem Jahre 1107 waren Benediktiner in Garsten, sie hatten aber in den ersten Jahren nur einen Prior namens Wirnto. Als dieser 1110 als Abt nach Formbach ging, wurde Berthold nach Garsten berufen. Dreißig lange Jahre waren dahingeschwunden, seit auf der Urachburg ein großer Trauertag gewesen und als Berthold vom Hochaltar als neu¬ gewählter Abt mit seinem Hirtenstabe das erstemal den feierlichen Segen gab, da leuchtete sein Antlitz in überirdischer Freude.

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