Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

300 Da öffnete die Frau langsam die Augen und blickte suchend umher: „Eberhard — bist du hier?“ Fast unhörbar kam es von ihrem Munde. „Ja, mein liebes Weib, sag mir, wie ist dir denn?“ Leise streicht eine Hand über ihr reiches Haar. „Eberhard, mir ist ganz wohl und alle Schmerzen sind geschwunden. Eberhard, erschrick nicht, ich werde dich bald — verlassen. Aber, wir werden uns wiedersehen, droben im Himmel.“ Sie schwieg und es war wieder, als ob ein glückliches Lächeln leise über ihre Züge huschte. Dann flüsterte sie weiter: „Eberhard, ich hatte einen wunderschönen Traum. — Ich habe dich gesehen — aber nicht in der ehernen Rüstung eines Ritters, nein, — viel, viel schöner. Eberhard, ich sah dich als Priester, wie du mit vielen anderen Priestern am Altare das hochheilige Opfer feiertest. Viele, viele Leute lagen — — auf den Knien und ich mitten unter ihnen. Da wandtest du dich um, ich sah dein Gesicht in einem hellen Lichte strahlen, du erhobst in deiner rechten Hand einen goldenen Stab — und gabst uns allen deinen Segen. Eberhard, das hat mir geträumt, dann erwachte ich, aber — es war schön.“ Der junge Graf war an dem Bette niedergesunken und vergrub sein Gesicht in die Hände. Er betete, um Kraft zu finden in seinem übergroßen Weh. Leise tastete die Hand der Sterbenden nach dem Haupte Eberhards und wie ein Hauch drang es an des schmerzgebeugten Mannes Ohr: „Eber¬ — hard, — der Traum war schön — wohl!“ lebe sei stark, Eine halbe Stunde später wimmerte vom Türmchen der Burgkapelle das Sterbeglöcklein, die Kemenate der Gräfin füllte sich mit Leuten: Rittern und Knechten, Frauen und Mägden. Sie alle beteten am Leichnam einer frommen Frau um die ewige Ruhe ihrer Seele. Manche Magd schluchzte laut auf und manchem rauhen Gesellen rollte eine Träne in den Bart. Dann leerte sich der Raum, der Graf drückte jedem stumm die Hand und kniete nochmals vor einem Kreuze nieder, um Kraft zu schöpfen in dem übergroßen Leid. Sein trübes Auge erblickte eine schlichte Inschrift am Sockel des Kreuzes: Veni, sequere me! „Komm, folge mir nach!“ Und es fiel dem Trauernden das Wort ein, das er noch vor einer Stunde von, ach, so teuren Lippen vernommen hatte: „Eberhard, der Traum war schön!“ * * * Monate waren vorübergegangen, längst hatte man Adelheid an der Seiteder Mutter Eberhards, der edlen Gräfin Luitgarde begraben und das Kind hatte dessen Onkel, Graf Konrad I. von Württemberg über Ersuchen Eberhards in seine Familie aufgenommen. Eberhard aber litt es nicht mehr viel in seinem ihm einst so trauten Heim. Um Ablenkung in seinem Schmerz zu finden, machte er eine weite Reise zu seinem mächtigen Vetter Markgraf Ottokar auf der Styraburg im Lande ob der Enns. Dort pflegte er mit ihm das edle Weidmannshandwerk und lieber noch zog er allein hinaus in den Wald. Manchmal traf ihn ein Ritter in stiller Einsamkeit in tiefes Denken versunken. Während die Vöglein im dunklen Tann ihre jubelnden Frühlingslieder sangen und der Tamberg sich frisch belaubte, sann Eberhard fern der Urachburg über seine Vergangen¬ heit und mehr noch über seine Zukunft. Und dann fiel ihm oft das Wort ein: „Der Traum war schön“. Eines Tages sagte er seinem Vetter wieder Lebewohl. Als sich beide Freunde umarmt hatten, fragte Ottokar: „Sag an, Eberhard, was wirst du nun wohl beginnen?“ Da lächelte der Gefragte glücklich und antwortete:

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