27 Der Heckenreiter. Erzählung aus dem Buschleben Australiens. Von Hermann Weber. Das flache, weißschimmernde Landhaus lag still in der drückenden Schwüle eines australischen Sommertages. Zwei Männer saßen unter dem breiten Vordach des Hauses in ein leises Gespräch vertieft. „Und Sie irren sich nicht, Mister Graham?“ fragte jetzt einer dieser Männer, dessen ganzes Aeußere, auch ohne den ergrauenden Vollbart, den Deutschen verriet. „Möchten Sie nicht die Güte haben, mir die sonderbare Geschichte noch einmal ausführlich zu erklären? „Wie Sie wünschen, Mister Wagner. Also vor vier Monaten kommt ein fremder Reisender in Sydney ans Land und betritt zufällig Lennemanns Hotel, in dem fast nur Deutsche verkehren. Der Hausdiener dieses Lokals, ein stiller, bescheidener Mensch mit ungewöhnlich großer Körperkraft, fährt wie ein Tiger empor, als er den Fremden erblickt. Ein erbitterter Wortwechsel in deutscher Sprache entspinnt sich. Dann zieht der Fremde einen Revolver hervor und richtet ihn auf den Hausdiener. Dieser aber springt zur Seite, unterläuft seinen Gegner und schmettert ihn zu Boden. Unglucklicherweise stürzt der Fremde auf die vorstehende Ecke einer steinernen Stufe, beschädigt sich schwer am Hinterkopfe und stirbt nach einigen Stunden. Kurz vor seinem Tode erklärt er aber noch, daß der Hausdiener Karl Meißner heiße, mit ihm in einem württembergischen Regimente gedient habe und infolge einer Betrugsgeschichte aus dem Soldatenstande ausgestoßen worden sei. Er, der Sterbende, trage aber an der Verfehlung Meißners die größte Schuld; er habe seinerzeit die Betrügereien eingefädelt, sei aber dank einer geschickten Verteidigung straffrei geblieben, während Meißner ins Gefängnis habe wandern müssen.“ „Ausgleichende Gerechtigkeit,“ unterbrach ihn der Schafzüchter. „Ich kann das nicht bestreiten. Doch hören Sie weiter. Der Hausdiener entfloh, als er seinen Gegner bewußtlos am Boden liegen sah, und die ganze Angelegenheit wäre vielleicht für ihn erledigt gewesen, denn er hatte ja in Notwehr gehandelt, und nur eine unglückliche Fügung hatte den Tod des fremden Mannes herbeigeführt; aber die Angehörigen des Toten, sehr wohl¬ habende Leute, wandten sich an die Behörden und verlangten die Verfolgung des Schuldigen. Ich erhielt den Haftbefehl zugestellt und nahm die Fährte auf. So bin ich hieher, in den „Busch“ gelangt. Ich wanderte von Station zu Station und zeigte überall eine kleine, verblaßte Photographie des Ver¬ folgten vor, die sich unter seinem zurückgelassenen Eigentum befunden hatte. Endlich lächelte mir das Glück: auf Sullivans Farm, südlich von hier, er¬ kannte man den Mann und sagte mir, daß er in Ihren Diensten stände. Graham machte eine Pause, zog aus seiner Brieftasche eine kleine Photographie hervor und reichte sie dem Schafzüchter hin. Dieser warf einen Blick darauf und rief erstaunt: „Aber das ist ja der Deutsche Wortmann, der Heckenreiter vom südlichen Bezirk! Der Detektiv nickte und lächelte kühl und gleichmütig dabei. „Der Mann heißt Meißner. Und nun noch eine Frage, Mister Wagner: Wo hält der 67 Gesuchte sich auf, oder welcher Art ist seine Tatigkeit als Heckenreiter? „Da Sie mit den Verhältnissen im „Busch“ nicht vertraut zu sein scheinen, will ich Ihnen eine kurze Erklärung geben. Mein ganzes großes Grundstück ist zumeist Weideland für meine Schafe. Das beste Land ist auf stunden¬
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2