Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1928

26 den zu großer Wagemut in der Vollkraft seines Lebens da hinauftrieb, würde ihr das ohnedies wunde Herz noch mehr zerreißen. Sie stärkt sich. Dann sucht sie den Steig, der über die Almen hin zur Hochtalfläche und wieder hinunter führt. Dort will sie im reizenden Ge¬ birgsdorf einige Tage Erholung suchen. Sie pflückt Blumen, liebkost ein Lämmlein, das meckernd von der Hütte herkommt, und geht dann ihres Weges. Dort rechts droben ziehen sich auf Stunden die Wände des Edelwei߬ gebirges hin, noch selten erklommen. Dort blühen sie zu Hunderten, die samtenen, weißleuchtenden Sterne, die Zierde des kahlen Gesteins. Sie wollen da oben stehen — unten ist ihnen ihr Leben zu unsicher, denn es gibt wilde, wehtuende Hände.... Der hier uns sucht, der ist stolz ob unserer Reinheit, dem seien wir gegeben — vielleicht auch auf sein Grab. Agnes Purkhart nimmt drüben am Fuße der Wände laute Männer¬ stimmen wahr. Was sie hört, macht sie eilig wandern. Das Edelweiß hat sich einem gegeben, der es nun in sein Grab mitträgt die Männer haben den Beschenkten gefunden. — Die Sonne sinkt in roter Glut. Im Giebelstübchen des Bergwirtshauses wässert Agnes den Blumenstrauß ein. Sie ist müde, todmüde, und ihre Augen, die fast leblosen, starren ins Leere. Da rafft sie sich auf und lächelt wieder — dann stürzen Tränen über ihre Wangen — und wieder vertrocknen sie um den wehlachenden Mund. Tot! Gefunden! Betreuen!... Das macht sie weinen und lachen. Sie nimmt die Blumen und geht fort. Während sie an den wenigen Dorfhäusern vorbeigeht, gucken die ruhen¬ den Bewohner neugierig nach ihr. Da steht die Kirche mit ihrem schlanken Turm, umgeben von der Kirchhofmauer, auf der ein Vöglein ein weiches, wehmütiges Abendlied singt. Agnes öffnet das knarrende Tor und geht zur Totenkammer; die Türe war geöffnet. Der Totengräber verschloß den roh¬ gezimmerten Sarg über Leichenteile. Vinzenz Rotthaler! Agnes legt die Blumen auf das Holz. Was es birgt, ist ihre Liebe, ist O ihr Glück. Gluck? Ja, weil es sein Glück war, bei seinem Sterben die Blume seines Stolzes in der Hand umschließen zu dürfen. Man sagte ihr ja, daß des Liebsten Mund in stummer Zufriedenheit lächelt. So will auch sie nicht trauern. — Am nächsten Morgen begrub man ihn. Der Pfarrer, Ministranten, nur wenige Beter und Agnes waren das Gefolge des Toten auf seinem letzten kurzen Gang; ein paar Neugierige standen abseits. Der Hügel wölbte sich alsbald über ihm, das Opfer der weißleuchtenden, samtenen Blumen. Doch raunten sie nicht: „Dem seien wir gegeben — vielleicht auch auf sein Grab, der uns in unserer Reinheit sucht!“ — Ja, und fortan blühten sie auf dem Hügel, auf dem nur stand: „Mein Vinzenz“ — die Blumen der Berge, ge¬ pflanzt von reiner, starker, treuer Liebe. Bergblumen! oo00000000000000000 0 Ob dieser Pfad, ob jener Steg — was fragst du viel? Das Leben hat so manchen Weg, doch nur ein Ziel.

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