25 Bergblumen. Skizze von Franz Ragl. In den ersten goldenen Sonnenstrahlen des Spätsommermorgens steigt Agnes Purkhart das weltabgewandte Tal aufwärts. Sie will heute wieder einmal Körper und Geist erfrischen und in die Berge ziehen, in ihre Berge und in seine Berge. . .. wo mag er wohl sein, der gute, treue und liebe Vinzl? Vielleicht gar. ... wenn sie es nur wissen könnte, das Blut soll ihr aus den Fingerspitzen träufeln, wenn sie seine beschwerlichen Wege gehen müßte, nur finden wollte sie ihn; finden dort auf einem jener hehren, stolzen Gipfel, um derenthalber sie ihn einst verlacht, weil er sagte, daß sie sprechen, lehren und neue Lebenskraft spenden können. Dieser starke Vinzl, ein Hühne, hat sich damals von ihr gewendet, zitternd — und war ihr ferngeblieben. Von dieser Stunde an war es ihr bewußt, daß die Berge ihrer nicht spotten lassen. Denn wehe! — Doch gesehen hatten sich die zwei nimmermehr. Wie Agnes nun so bergwärts wandert, sehen ihre Augen nichts von der weiten Morgenpracht. All die wehen Stunden der letzten zwei Jahre, die nun vor ihr hinziehen im Geiste, verhüllen ihr gleich einem dichten Schleier die Gottesnatur. Auf ihrem Wege durchsteigt sie Schluchten, überquert sie schwindelnd hohe Stege, aber nur das Tosen der stürzenden Wasser erinnert sie von Zeit zu Zeit daran, wo sie sich befindet. Keuchend sturzt an ihr ein Mann vorbei, ein Bergführer, aus dessen tiefliegenden Augen es sonderbar zuckt; wie ein Hochwild springt er von Stein zu Stein abwärts. Er wirft ihr ein „Gut'n Morg'n!“ zu, das unter dem keuchenden Atem des Mannes kaum verständlich ist. Dieses Wesen bestürzt Agnes. Nachdenklich folgt sie der kräftigen Mannesgestalt, die unaufhörlich springt und springt. Vielleicht ein wichtiger Botengang, denkt sie, als das Aufschlagen der Bergschuhe des Hastenden ihrem Ohr entgeht und er verschwindet. So ist sie nun auf einen anderen Gedankengang gekommen, wozu ihr auch das plötzliche Dastehen der Schutzhütte behilflich ist. Vor dieser stehen mehrere Leute, die sie erregt sprechen hört und die immer wieder abwechselnd gegen die Wände des Bergmassivs hindeuten. Ages Purkhart bleibt diesen Menschen ferne, sie will ja Frieden, und diese streiten sich anscheinend um Besteigungswege, die jeder besser wissen wollte. Daher geht sie ein Stück Weges seitwärts und setzt sich inmitten von Blumen auf den Almboden.... Frieden! O heiliges Wort! Wo hat denn der Frieden seine goldenen Heimstätten schöner aufgebaut als hier, im er¬ habensten Paradies des Schöpfers? Wenn alle Erdenpilger doch die Kraft fänden, die körperliche und seelische, für solche Wege den Wanderstab in der Hand zu führen und ihn mit Ehrfurcht einsetzten bei jedem Tritt in die ge¬ weihte Heimatscholle, dann, o dann wäre die Welt gut. Immer vernehmbarer dringt das Gespräch derer vor der Schutzhütte an ihr Ohr. Sie hört vom Edelweißpflücken; wie beschwerlich diese Blume dort oben zu erreichen sei; auch ihn müsse das gleiche Schicksal erfaßt haben — und schließlich von Bahre, Trägern und Tod. Also doch kein Streit. Vielleicht sprechen die dort von einem Abgestürzten — und das Talwärtshasten des Bergführers vorhin wird Agnes nun erklärlich. Tot! Nein, da will sie nicht hin, sie würden dieses Opfer der Berge dann an ihr vorbeitragen, und ein großes Erbarmen für diesen toten Menschen,
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