klammern können, daß all dein Gerede nur ein Fieberwahn. Bald aber hatte ich die folternde Gewißheit, daß dein schein¬ bar wirres Reden böse Wahrheit war Verzeih Michl! In dieser Erkenntnis floh ich von dir; ich konnt's nicht tragen. Da führte mich mein alter Vater wieder an dein Bett. Seine ruhigen Jahre sprachen sanft und klug zu mir. Gebeugt in Tränen etzte ich mich wieder hin, nur um einen kranken Menschen zu pflegen, nicht meinen Er setzte sick guten Michl mehr. Er¬ hin zu mir und ward nicht müd mit zählen und Erzählen. Aus seinem eigenen Leben, von der Mutter und schließlich von dir. Diese Stunden der Trauer sog ich ein und es wurden mir schöne Stun¬ den daraus. Heute? Wie arm wär ich, sie nicht erlebt zu haben! Der kaum Neunzehnjährigen hätte der Vater aus ge¬ freien Stücken nicht solchen Blick zu währt. Das Unglück tat mir die Tür ich köstlicher Wahrheit auf. Und wenn auch älter geworden an deinem Kranken¬ lager, so hab ich dafür eine Weisheil eingetauscht. Ich weiß nun, daß gut nicht immer gut und bös nicht immer böse ist daß in jedes Menschen Seele Dinge ruhen, die ewig verborgen bleiben, wenn sie niemand ruft; hat die Zeit aber ihre Bedingungen geschaffen, dann schnellen sie empor und werden sichtbar, gut oder bös. Einträchtig liegt alles, was es gibt, in jeder Seele, wie tausend Töne eines Instruments, auf dem das Schicksal die Musik erzeugt; was wir hören und dann das Leben nennen, ist nur das kleinste Echo einer Seele. Deine Krankheit die hat gerade lang genug gedauert, mich unerfahrenem Kind allgemach verstehen zu lassen, über die Taten der Menschen nicht leichterdings mit dem endgültigen Urteile von „Gut und Böse“ herzufallen. C Das danke ich dem Vater, der mich zu schauen lehrte. Wer Schuld auf sich geladen, muß noch lange nicht schlecht ein, noch wohnt so viel Gutes in ihm daß es sich lohnt, ihm den qualvollen Weg der Reinigung zu ebnen, zu helfen, daß er Gutem diene. Lukrezia streichelte ihn dabei über 95 die bleiche magere Rechte. „Nichts soll zwischen uns sein. Nimm auch dein Weib anders; denn ich will hinfort Gott nicht danken, daß ich rein, unschuldig bin nein, ich will ihm danken, daß er mich noch nicht ließ schuldig werden. Eng aneinandergerückt, die Köpfe zusammengelehnt, saßen sie nun still und in Michls Augen hingen Tränen. Mild und lind und so verständig gut hatten Lukrezias Worte in sein düsteres Innere geklungen und wie die junge Lenzsonne aus harten Winterschollen ihre Blumen küßt, so lockte nun Lukrezias inniges Verstehen den ehrlichen Michl früherer Tage hervor, der des himmlischen Segens teilhaftig geworden: mit freiem Herzen geben und nehmen zu dürfen. Wie ein jubelndes Kind, den Kopf in beide Hände nehmend, küßte er Lukrezia in übervollem Danke. Ganz anders war es zwischen den beiden von Stund an. Aus Verstehen und Verzeihen war für Michl erst jene tille Liebe gewachsen, die nur aus gegen¬ eitigem Sichbesitzen und Vertrauen kommt. Wenn er früher vor Lukrezias zärt¬ licher Neigung floh und innerlich gepeinigt bei der Arbeit nur das Vergessen suchte so freute er sich jetzt an ihrer bloßen Nähe schon und besprach mit ihr sogar geschäftliche Dinge. Oft kam es vor, daß er sich nicht einmal die Zeit nahm, den groben Lederschurz wegzulegen, nur um recht rasch seiner Lukrezia die Freude über einen neuen Auftrag, eine gelungene Arbeit oder gar irgend eine kleine Nich¬ tigkeit zuzutragen. So verging der Herbst ihres ersten Ehejahres und die Dingstädter, so wie alle anderen im weiten Reiche das letzte zum großen Kaiserfeste zu rüsten began¬ nen, stand auch Michl wieder froh und gesund unter ihnen. Mancherlei Vorbe¬ reitung war zu dem und jenem noch nötig und auch im Glockengießerhause gab es großen Rummel, bis endlich in den letzten Novembertagen die mächtige Kaiserglocke blumengeschmückt am Wagen Nun kamen die Menschen aus lag.
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