94 lingspracht wiederholt sich jetzt noch ein¬ mal, nur sind die Blüten prangender Segen geworden und dann kommt der Winter, deckt alles zu, zerdrückt in weißen Schweigen den letzten Laut und nächstee Jahr ist alles vergessen; jeder Baum, jede Blume darf von neuem leben — da gib es keine Sünde, keine Buße. Wie das gütig ist!“ klang es mit Wehmut aus Michl. Eine gute Weile schwiegen beide. Michl sah der Eidechse zu, mit fast fie¬ bernder Eile flog Lukrezias Hand über ihre Arbeit, plötzlich hielt sie ein und lehnte sich zurück. „Du hast auch so einen Winter hinter dir. Laß diese Gedanken, laß sie vorbei sein und es gibt keine Sünde. So be¬ stimmt hatte Lukrezia nun gesprochen, wie sie Michl noch nie gehört; wie ein Messer waren ihre Worte in seine wehmütige Stimmung gefahren, nicht bös, aber ver¬ weisend, wie sich's der Kranke von der Wärlerin gefallen lassen muß, wenn er eigensinnige Gedanken nicht lassen will. Michl schwieg, aber Lukrezia legte ist ihren Arm auf seinen Nacken. „Es wirklich alles vorbei. Schau mich an; ich bin dir nicht bös. Du hast genug gelitten jetzt sollst du aber gesund werden und mußt solche Reden lassen.“ Nun setzte sie sich wieder über ihre Arbeit und versank in Stille, als träumte sie. „Michl“, begann sie nach einer Weile leise, „du schaust so wehmütig in die sonnenklare Herbstpracht, statt dich ihrer zu freuen, und das hab ich verschuldet; denn vorerst, eh ich mich zu dir setzte träumtest du so glücklich vor dich hin und jetzt, weil ich bei dir bin .... ihre Stimme zitterte und brach ab. „Lukrezia, nicht deinetwegen, wollte er rasch sein liebes Weib versichernd trösten, aber er besann sich; denn eigent¬ lich war es ja doch wegen ihr, und da fühlte er schon wieder die alte, endlose Mauer, wo er eben alles vergessend einen Schrilt näher zu seinem Weibe hätte tun wollen. Und weil daran auch die ganze Krankheit nichts geändert, das war es, warum er so plötzlich wieder traurig ward. Die Herbstpracht zeigte so klar das Vergängliche, hinter dem die Hoffnung untrüglich neues Leben sehen durfte, überall neues Leben, jeden Augenblick ein an¬ deres, nur er mußte am alten weiter¬ schleppen. „Ja“, begann er nach einer Weile wieder, „der Mensch ist eben kein Vogel Phönix, er kann nicht wie dieser aus einer alten Schuld heraus, um neu zu erstehen und trüge er die größten Schmerzen. „So war es also nicht genug. Bist drei lange Monate gelegen und Fieber¬ träume haben dich geschüttelt — und noch immer ist es nicht genug. Du glaubst vielleicht, deiner Lukrezia wäre unbekannt, was dich krank gemacht, was dir alle Kraft und Besinnung nahm. Michl richtete sich plößzlich aufmerk¬ sam empor. Wußte sie wirklich, was ihn quälte, ahnte sie, daß er nicht der acht¬ bare Mann — daß er ein Sünder war? Sie wandte ihm ihr Antlitz zu und in den großen Augen lag die Wahrheit und doch blickten sie nicht strafend, nicht überlegen, nur bezwingende Milde leuch¬ tete in ihnen. Sinnend senkte er den Blick. Ein Ereignis recht ferner Tage ward in ihm wachgerufen. Einst hatte er als kleiner Knabe einem jungen Bäumchen in des Vaters Garten die zarte Krone abge¬ brochen und dann nicht eher Ruh ge¬ funden, bis er sich selbst als den gesuchten Uebeltäter angeklagt. — Und wie sollte er jetzt Ruhe finden, eh nicht alle Angst um das Nichtige von sich geworfen, er sich selbst verklagte. Aber er kam nicht weit; schon legten sich Lukrezias weiche Arme um seinen Nacken. Sie wußte, was er sagen wollte, sie kannte ja längst seine Not. „Laß uns nicht wieder davon reden. In schweren Fieberträumen hast du schon längst deine Qual verraten. Hast mich mit deinen Reden gefoltert. Weinend lag ich an deinem Lager und starrte nach deinen Lippen, um dort nur ein Wört¬ lein zu finden, an das ich mich hätte
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