Hände entgegen, als wäre die Mauer nicht. So lange der alte Vater bei ihnen war, ließ sich zur Not alles verbergen. Wie aber, wenn über den Alten einmal Siechtum und Krankheit kam, der Alte dann nimmer bei ihnen war und Michl dann seine Stunden mit Lukrezia allein teilen mußte, zwischen ihnen einmal alles weggeräumt war, dann blieb nur jene Mauer übrig, dann mußten auch die erschreckenden Stunden kommen, wo es sich zeigte, wie niedrig er vor seinem Weibe stand! Die Furcht davor begann ihn immer mehr zu peinigen und trieb den Schlaf aus seiner Kammer. Aber jeden Morgen tand er wieder aufrecht, wie einer, der So sich nicht unterkriegen lassen will. sehr hing er am Leben und dem glän¬ alte zenden Aufstieg, zu dem ihm der Gasser die Wege geebnet hatte. Wie sehr ihn auch die Sünde und Lukrezias Wesen drückten, preisgeben wollte er nichts da¬ mit von; er hoffte immer, es endlich doch ich selbst ausringen zu können und lebte sich so in den Gedanken einer selbst auf¬ erlegten Buße. In einsamen Stunden, wenn alles im Hause schlief, starrte er stundenlang den mahnenden Richter an, sein Gewissen, das sich wie ein zweites Ich über ihn hob, anklagte und mit Peitschen schlug So hatte er sich eine eigene, selbstquäle¬ rische Art erfunden, von der er Läuterung erhoffte. Aber statt Läuterung, statt Rei¬ nigung, brachte ihm diese Selbstquälerei eine schwere Krankheit. Ein typhusartiges Leiden warf ihn auf Wochen hin und Lukrezia trug mit ihrem Vater schwere Sorgen. Michl wußte nichts von sich, nicht was er tat, nicht was er sprach, erinner¬ lich blieb ihm nur, daß er immer Durst litt und oft zu trinken verlangte. Es ging schon gegen den Herbst hin als er das erstemal wieder in der Sonne saß. Hinter dem Glockengießerhause lag ein weiter, ebener Garten mit Gemüse¬ beeten, hinter denen sich eine Wiese mil 93 an¬ Obflbäumen bepflanzt, allmählich leigend zu einer felsigen Mauer hob. Schon vor Jahrhunderten lag der Garten o und waren in diese Mauer hohe, breite Stufen gelegt, an denen sich knor¬ rige Weinstöcke rankten und junge Pfirsich¬ bäumchen ihre schlanken Triebe bis hoch über die nächste Stufe hinausschoben. Am Ende der ersten Stufe, wo eine Stein¬ treppe weiter aufwärts führte, war eine bequeme Bank gerichtet, dort saß Michl. Die Herbstsonne lehnte sich warm in eine Ecke her und ein unsägliches Wohl¬ behagen kam ihm durch Ohr und Augen zugeflossen. Goldene und bläuliche Trauben wechselten an der Mauer mit roten, samt¬ glänzenden Pfirsichen und unterhalb bogen ich schwankende Aeste im Herbstsegen. Ein verspätet Pfauenauge flatterte darüber hin, dann raschelte es im dürren Kraut am Fuß der Mauer, eine grüne Eidechse kam ervor und legte sich schillernd auf einen vollbeschienenen Stein, behaglich seine Still wars, ganz Wärme saugend. — till und Michl war fast nicht in dieser Welt. Lukrezia mußte ihm, durch den Garten kommend, schon eine Weile zugesehen haben, denn als ihr Kopf mit den glän¬ zendbraunen Flechten und den immer heiteren Augen auftauchte, rief sie schon von weitem: „Michl, darf ich kommen? Ist's erlaubt, ein wenig mit dir zu träu¬ men?“ — Michl streckte ihr die Hand entgegen. „Komm nur her du liebe Kran¬ kenwärterin! Ich kann ja doch nicht ohne sein! dich „Bist denn noch krank?“ frug sie ohne Aufschauen und breitete über ihrem Schoße eine Handarbeit, dabei sahen ihre Augen ernst aus und Michl merkte es. Warum er krank geworden, wußte Eine er genau. Wußte es auch sie? — Angst stieg in ihm auf, so brennend heiß, daß es ihm die Wangen rot machte und ihn eine peinliche Hilflosigkeit befiel. Nun rückte sie näher, als sollte dies etwas heißen, nahm aber schweigend ihre Arbeit auf. wie schön das „Es wird Herbst — eigentlich eingerichtet ist. Die ganze Früh¬
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