92 sich enger, aber rauschender noch an der Hochzeitskafel auszuleben. Dann kam die Zeit des Ehestandes. Allem Anscheine nach war Lukrezia glücklich mit ihm. Ihre erste flammende Liebe wandelte sich zu immer stillerer, dafür aber umso tieferer Neigung. Ha¬ genauer, der sich wohl nichts Schöneres hätte wünschen können, trug aber eine Wunde am Herzen und konnte sich die¬ ser Liebe nicht recht erfreuen. Ja, er be¬ gann unter ihr zu leiden. Eine früher nie gekannte Wehmut verbreitete sich in seinem Wesen immer mehr, und wer seine hellen Augen vordem gekannt, mußte sick fragen, woher wohl der leidende weiche Ausdruck in ihnen gekommen ist. Sein Lebenlang war Hagenauer ein ehrlicher Geselle gewesen, nun war er es aber nimmer, denn Lukrezia stand an — Eine Sünde lag Barbaras Stelle! nun auf ihm. Die drückte ihn täglich tiefer, je mehr sich ihm Lukrezias schönes ohne Wesen enthüllte. Nicht, daß er sie chon Neigung geheiratet hätte, nein, völlig damals war das mit Barbara einem abgetan; denn so wie Bilder vor schwin¬ wandernden Auge nach und nach den, neue an ihre Stelle rücken, so hatte ihn das eine Wesen, verdrängt von einem neuen, innerlich immer mehr und mehn losgelassen, so daß er sich ohne Selbst¬ täuschung schließlich völlig freigegeben fühlte. Wieviel aber bei diesem Wandern und Wandeln aus eigenem Wunsche, wie aus eigener Schuld erwachsen war, er sich selbst über Ehrlichkeit und Ge¬ wissen hinweggeholfen, ward ihm erst an seinem Hochzeitstage, der unter seltsamsten it Umständen wieder eine Begegnung hatte Barbara brachte, offenbar. Warum Nun er so grundschlecht handeln können? war es aber geschehen und nichts ließ sich dran mehr ändern. Er konnte sich nur selbst verachten und darüber mit dem Geschicke hadern, warum nicht Lukrezia die erste gewesen. Daß Lukrezia gar nicht seinen Weg hätte kreuzen sollen, nein, dazu hatte er sie viel zu lieb. Aber die Sünde, die vor dieser Liebe lag, hiel ihn nieder wie einen, der nicht wert nach ihr zu langen. Und da gab es keinen, der den schweren Stein von seinem Herzen heben konnte; denn die Sünde war zu groß. Barbara hätte vielleicht verzeihen können; aber Barbara war doch auch nur ein Weib und des Weibes Aufgabe ist es nicht, Sünden zu verzeihen, seine naturgesetzte Aufgabe ist die Erfüllung des Weltlaufes; wer dies dem Weibe möglich macht, dem wird immer verziehen das ewig Weibliche hebt den schwersten Sünder auf. — So blieb also nur Lu¬ krezia, so war es an der, die Schuld von ihm zu nehmen. Aber nach ihr langend die Erlösung suchen, war doch nur ein Weg durch neues Unrecht, neuen Frevel Lukrezia stand in ihrer reinen Unschuld viel zu weit, viel zu hoch über ihm. Und war dann am allerweitesten, wenn sie mit zarter Hand über Michls Haar fuhr und ihn zärtlich bat, zu sagen, was er denn chon wieder sinne. Irgend eine wichtige Arbeit war dann seine Ausrede und er krampfte alle Kräfte zusammen, sich vor der lieben kleinen Frau wieder zu finden; so sahen die ersten Monate seiner Ehe aus. Michl litt schwer. Am wohlsten war noch bei der Arbeit; dort vergaß er ihm elbst und damit auch die Sünde. sich Hätte er vor Lukrezia fliehen können, dann wäre ihm wohl nur die Qual be¬ gangenen Unrechts geblieben. Aber er hing an ihr und ihre Augen, ihre Stimme, ihr ganzes Wesen waren so rein, so heilig, und dieses Heilige wollte sich ihm schenken, kam ihm, dem Unwürdigen, wie etwas gleichem entgegen, zahlte Liebe und Ach¬ tung tausendfach wieder und gerade dies so weh, schmerzte wie Peitschenhiebe. tat O hätte er nur einmal die Kraft finden können, sich Lukrezia gegenüber, wie in ein Werk versenkt, selbst zu ver¬ gessen, allen Egoismus, die Liebe zu den tausend Nichtigkeiten des Lebens von sich zu werfen, nur Seele gegen Seele, dann hätte er Rettung gefunden. So aber stand eine Mauer endlos und undurchdringlich vor ihm und Lukrezia reichte ihm ihre
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2