machte ihr einen redlichen Heiratsantrag. Um nur der Schande und dem Gespött zu enteilen, trat sie in diese Ehe und da¬ mit schwieg über sie auch der letzte, der etwas zu tratschen gewußt hätte. Mil ie einer großen Schuld am Herzen hatte sich so die öffentliche Ehrbarkeit erkauft. Bald nach dieser Heirat verlobte sich Hagenauer mit Lukrezia, und der Tag, an dem die Kaiserglocke gegossen werden sollte, ward auf des alten Gassers beson¬ deren Wunsch hin auch zum Hochzeits¬ tage bestimmt. Der Alte hatte dafür seine besonderen Gründe. Wohl kannte er die Schwierigkeiten, die einem Glockengieße wurden, wenn dieser an seinem Hochzeits¬ tage einen großen Guß und beides mit feierlichem Getu vollführen sollte. Aber alle Einwendungen wogen dem Alter nichts gegen den Wert der Verbindung dieser beiden wichtigen Handlungen; denn mit diesem Tage sollte nicht nur seine Tochter, sondern auch seine Werkstatt den Namen Hagenauers bekommen. Erschien doch die Stadtvertretung und die Kirche beim feierlichen Glockenguß, und ie Vereine der Stadt sandten ihre Ver¬ treter! So war die Hochzeit und der Name Michl Hagenauer zu einer ganzen Angelegenheit der Stadt gemacht. Die Reden und Segenssprüche, die jeder Ver¬ treter zum Guße brachte, mußten schon dem einen wie dem anderen Ereignisse Rechnung tragen, und wenn dann nach¬ her dies alles in den Zeitungen zu lesen stand, war der Tag im Gedächtnisse aller die gleichzeitige Umtaufe der Werkstatt: die Gasser gingen und der Hagenaue war fürder kein Unbekannter mehr. Vor Michls geschlossenen Augen tauchten nun die wirbelnden Bilder dieses Tages wieder auf. Der Dechant mit den Ratsherren und Vertretern der Vereine begleitete durch die vollgedrängte Gasse unter dem Klang der Glocken das junge Ehepaar aus der Kirche zum Glockengießerhaus, dort füllte schon die Liedertafel den Hintergrund der großen Werkshalle und sang aus Bruchs Glocke die zum Tage mit Verständnis ausgewählten Teile. Während der Pausen 91 bestiegen zuerst der Dechant, dann der Reihe nach all die übrigen Herren das Holzgerüst neben dem Ofen, unter Se¬ gensprüchen und Wünschen die letzten Erzstücke in die brodelnde Glut werfend. Michl kam sich vor als lebte er in einem Märchen; kein Traum hatte ihm e ein bunteres, wirbelnderes Bild ge¬ zaubert — da, plößzlich ein Zwischenfall die Sänger hatten eben von neuem begonnen, als eine schwarze, jugendliche Frauenerscheinung das Holzgerüst betraß und, unbeirrt von allem Lärm und Ge¬ pränge, bis hart an die Ofenmauer tre¬ tend, mit lauter Stimme rief: „Was die Menschen an Lüge und Trug ins gold'ne Geschmeide einen, das fege hinweg du heilige Flamme, auf daß das Gold dann geläutert zum reinen, singe warnend vom Weh, das die Lüge geschaffen, singe auch du, mein zerbrochenes Ringlein, vom Weh. 74 bis das Herz deines Meisters zerspringt! Damit warf sie einen blitzenden, kleinen Ring in den Ofen und verschwand. Ob sich das wirklich zugetragen, ob das für Michl nur ein schlimmes Spiel aufgeregter Phantasie war, ist ihm nie¬ mals klar geworden. Aber er hatte doch den bestimmten Eindruck, daß den meisten Anwesenden und so auch seiner Frau, abgelenkt durch den Gesang und andere Dinge, der rasche Vorfall entgangen war. Wer es doch gesehen und die Worte ge¬ hört, wußte auch nicht viel damit anzu¬ angen, nur er war bleich und im Herzen gab's ihm einen schlimmen Stich, dabei kam ihm vor, er trüge nun eine Wunde, die nimmer heilen konnte. Vor drei Wochen hatte die Barbara einen Buben bekommen und hatte sich dieses Fest zum Anlaß ihres ersten Aus¬ ganges gemacht, um, plötzlich erscheinend, ebenso rasch zu verschwinden, nur um Michls Ring zum Glockenguß zu wer¬ en. Das war doch wirklich wie ein Mär¬ chen, wie im Traum, wo nach den zwölf Wunschhexen die dreizehnte kommt! Hagenauer wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Bald hernach erfolgte der Glocken¬ guß und die Feier war zu Ende, um
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