90 seiner Kunst haben dürfen, mußte der gerade in München, Wien oder einer anderen großen Stadt sein! — Dies tat Gasser auch mit den besten Absichten auf Michls Zukunft, nicht allein für sein Dingstadt, aber ungewollt führte er da¬ mit den jungen Mann einer bösen Schick¬ alswende entgegen. Gerade in diesen Wochen, deren freie Zeit Michl durch des Meisters Gunst ganz in neuen Kreisen festhielt, kam Gassers einzige Tochter Lukrezia, achtzehnjährig, Achtzehnjährig! O du wunder¬ — heim. voller Augenblick des Lebens! noch mit allen Träumen und Launen des Kindes voll, stehst du Achtzehnjährige an der Schwelle des breiten Lebens. Mit unge¬ probter Kraft und allem Wollen, noch nie enttäuscht, stehst du zum Sprung ge¬ aden in die Welt bereit. Und was die Welt an Schönem alles birgt, dir zeigt es sich in seiner schönsten Schönheit! Drum hüte dich auch, Achtzehn¬ jährige! Du weißt nichts von Gefahr. vielleicht verlangt dein Herz in raschem Sturme das schlimmste Los von allem was da winkt! Gib acht, Lukrezia! Lukrezia, die schon früh ihre Mutter verloren, war mit vierzehn Jahren von hier weggekommen und kehrte nun mit seinem Können und jungfräulichen Sitten ins Vaterhaus zurück, in dem die Mutter fehlte. Dort reichte ihr neben dem Vater einer die Hand, der wie ein Sohn im Hause und doch kein Bruder war, vor dessen Männlichkeit sie leise erzitterte. Niemand hatte es ihr gesagt und doch wußte sie es vom ersten Augenblick: ie stand jetzt an der Schwelle des Le¬ bens. Und wie im Traum tausend Dinge in wenig Sekunden geschehen, so rollte vor ihrem Auge Bild um Bild, und alles egte sich zusammen auf einen Weg, den zu beschreiten sie eine unwiderstehliche Gewalt nun trieb. Welch geschätzter Meister ihr Vater war, das wußte sie, dieser trat aber jetzt selbst zurück und zeigte ihr einen Künstler, von dem die Stadt ein Meisterwerk er¬ wartete, wie keines war. Da versank ganz Dingstadt wie ein Nichts vor ihr, sie sah nur mehr eines: Michl Hagenauer. Und Michl zitterte; in seine Lebens¬ bahn war nun ein Mädchen getreten, das hn wie ein Verhängnis zog, vor dem der Wille zum Widerstand erlahmte. Eine schreckliche Gefahr malte sich ihm aus, aber zitternd vor dieser Gefahr, wurde ihm schon die erste Begegnung mit Lu¬ krezia zum unabwendbaren Lose. Aus dieser Angst gab es nur mehr einen letz¬ Aber ten Weg: fort von Dingstadt! — chon war er zu schwach, diesen Weg zu gehen. Hundert Fäden gingen von ihm zu diesem Dingstadt hinüber, und er selbst hatte sie mit jedem Tage fester gemacht. Nun sollte er heraus, alles, was hier nach und nach um ihn und aus ihm ge¬ worden, sollte er vor wahnsinniger Angst zerreißen und — fort. Dachte er dabei noch seiner Bar¬ bara? Schreckte ihn vor der Flucht noch ihr heiliges Anrecht? Oder war es nur das begonnene Werk, die Kaiserglocke, die ihn hielt? Wie ein dunkler Vogel hob sich in einem Herzen immer mehr jenes schwache Ich aller Nichtigkeiten, und ein Kampf voll unsäglichem Weh, zwischen Entsagen und Verlangen, zwischen Herzensadel und Eitelkeit, kam über ihn. Aber schließlich war er doch zu schwach gewesen und blieb und Dingstadt erzählte sich eines Tages eine neue Geschichte, die hieß: Michl Hagenauer und die reiche Lukrezia. Der frühere Gehilfe stand nun wie der Sohn eines geachteten Hauses im Kreise der ersten Bürger. Die reiche Ver¬ bindung, die in langen Wanderjahren gesammelte Gewandtheit wie sein Künstler¬ tum stellten ihn zu den Ersten der Stadt, und aus diesen neuen Verhältnissen ent¬ tanden jene falschen Kräfte, die Michl leicht über seine augenblickliche innere Elendigkeit hoben — und Barbara, die Verlassene, wagte in ihrer tiefen Seelen¬ not nicht, den Ungetreuen an seine Liebe zu mahnen. Still, aber mit gekrampftem Herzen reichte sie dem Schuhmachermeister Steighuber die Hand. Dieser war erst kürzlich in die Stadt gekommen und
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