Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

Hagenauer und ein Sonnenringel fiel ihm aufs ruhige Antlitz, auf die geschlossenen Augen, aber im Winkel blitzte dort ein Tröpfchen wie Morgentau. Ein verspätet Tränlein für den Bach, auf dem die Minnezeit, die selige Zeit gekommen und entschwunden. Durch dieses Tränlein mil tausend Farben sah nun Michl wie durch ein Wunderglas all die vergangenen Tage wieder. Da sah er sich mit Barbara. Ver¬ stohlen, heimlich saßen sie auf der Bank in der Laube hinter ihres Vaters Haus und lauschten beide erstaunt, wie sich ihnen das Herz auftat für Lieder und Blumen, für den Silberschein des Mondes, dem leisen Zirpen der Heimchen, allem, allem was da Gott getan und sie gaben Ant¬ wort darauf mit Hoffen, Lachen, Küssen und Tränen. Wie schön war das! Und dann kamen die Tage, da die Dingstädter eine Kaiserglocke stifteten. Michl sollte sie formen und bauen. Und Michl baute sie mit allem, was er in einem Herzen aus der Laube mit sich tragen konnte; ihr Lachen, ihr Küssen, ihre Tränen, übervoll mit dem was Liebe baut, baute er die Glocke. Barbara selbst, ihrganzes Ich, wie sie sich ihm geschenkt in stiller Mondnacht, das sollte die Kaiserglocke werden! Die Dingstädter Ratsherren hatten beschlossen, aus Anlaß der fünfzigjährigen Regierungszeit ihres Kaisers, die sich am Schlusse des nächsten Jahres vollenden sollte, verschiedene wohltätige Einrichtun¬ gen zu schaffen und zu ewigem Gedenken eine neue Glocke in den Pfarrturm hängen zu lassen, wie es weit und breit keine gab. Der Zufall hatte ihnen einen überaus tüchtigen Glockengießer gesandt. Michl Hagenauer in Gassers Werkstatt ließ ein solches Werk erwarten. Mit hohem Stolze hatte der alte Gasser seinem neuen Gehilfen den Auf¬ trag der Bürgerschaft eröffnet und Mich war glücklich darob. Sein Herz und Blut war ja voll wirbelnder Kraft, Uebergroßes leisten zu dürfen. Die gedachte neue Glocke sollte mit dem bestehenden, fein abgestimmten Geläute der Pfarrkirche in 89 Harmonie kommen, aber für sich etwas ganz Besonderes von allen Glocken werden, und Hagenauer nahm den Auf¬ trag, überglücklich, all sein Können, seine reichen Erfahrungen in ein solches Denk¬ mal legen zu dürfen. Wie eine Mutter mit jubelnden Kindern im blühenden Frühling eilt, so sollte sein Erz die an¬ deren Glocken zum jubelnden Kranze chlingen, über allen aber die Erste sein. Doch die schwierigsten Rechnungen und Klangproben wollten die rechte Tonfarbe einer Glocke nicht ergeben. Da endlich, ohne Rechnung, ohne Probe, wie im Traume gefunden, gleich einer himmlischen Sendung, war die Lö¬ ung da! In einer stillen Mondnacht war Barbara an seinem Halse gehangen und alles, was ein Menschenherz hat an hellem Jauchzen und tiefem Weh, das tat sich für Michl auf. O selige Minne, wenn du dich schenkst! Michl hatte alles gefunden! Gefun¬ den? Mehr noch erträumt im Augenblick nneren Schauens der Liebe, die dem Menschengeist, irdischer Enge entbindend, Flügel und Sinne leiht, das Ewige zu zu assen, Schätze in einem Augenblick raffen, die Jahrhunderte irdischen Denkens nicht erquälen. Und was errafft ist, wird erdwärts gerettet, wird bleibendes Denk¬ mal eines gottbegnadeten Meisters. Als wäre Michl in jenem Augen¬ blicke ein Wunderschlüssel geschenkt wor¬ den, so leicht war nun die Mischung der Erze, die Form und Größe gefunden. Barbaras Seele voll Lachen, Küssen und Tränen: das war der Wunderschlüssel. Etliche Wochen nur und das große Werk konnte geschehen. Da war Meister Gasser vor Freude übervoll und begann nun auch für seinen Gesellen zu sinnen. Wo er konnte, zeichnete er ihn aus; zog ihn auch für manche Abendstunde an seinen Tisch, nahm ihn mit in seine Kreise, kurz er ehrte den Künstler und ebte ihm die Bahn, wie und wo er konnte; er selbst hatte ja keinen Sohn und wenn er einmal nimmer war, warum ollte nicht Dingstadt den besten Meister

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