Und mir war, als hätte ich sie so noch nie gehört. Manchesmal schwang sie schnell, etlichemale so langsam, als wollt sie stille stehn und wie das klang, ich glaube fast, es geschah wegen der Mutter. Ich krieg das auch nicht los, aber der Turmwächter will nichts wissen davon. Ich werde morgen den Mesner fragen. Daß es aber gerade die Kaiserglocke war? Als Totenglocke hat doch die noch keiner gehört. Ueberhaupt das mit den Glocken? Beim Läuten wurde die Mutter immer voll Unruh. Darüber habe ich oft und viel nachgesonnen. Neugierig danach zu fragen war ich auch, aber du hast es mir verboten. Verboten! Freilich, weil dir solch Fragen soviel genützt hätten wie mir; wenigstens hat dir niemand einen Unsinn gequatscht. Seit du auf der Welt, ist die Krankheit da und hat sich verschlimmert von Tag zu Tag. Es ist vom Wochen¬ bett geblieben, bis dorthin hab ich's nie bemerkt. Freilich hat der Doktor getröstet, es würde vergehen, wie es kam, helfen konnte er nicht — aber den Meister Hagenauer hab ich einmal darüber gefragt In seinem Fache mußte eine so sellsame Krankheit, die ganz gewiß mit dem Glockengeläute zusammenhing, bekannt sein, und er erzählte auch von einem ähnlichen Falle, den er in seinen Wander¬ jahren zu Paris erlebt haben wollte, ob aber dort geholfen wurde, wußte er nicht. Ungewohnt lange hatten Vater und Sohn in dieser Weise sich unterhalten, bis ihnen endlich alle Fragen ausgingen und der Schlummer kam. * * * Etwas anders als die beiden Steig¬ huber erlebte Hagenauer, der Glocken¬ gießermeister, den Tag der „stillen Wettl“. Als er sich in der Glockenstube wie¬ der zum Rechten besonnen, schlüpfte er in sein blaues Listerröckl, nahm den gel¬ ben Girardihut von der Bank und ver¬ sicherte sich durch einen Blick in die Tiefe, ob er den Turm unbemerkt, wie er es wünschte, verlassen könne. 87 Es war auch nicht gut in dem engen Gemäuer. Mit dünner Backofenluft legte ich die Sonnenhiße zwischen das Holz¬ gebälk und die Glockenstühle, seiner stark¬ werkenden Lunge kam beängstigend we¬ nig zu. An einem weniger heißen Tage hätte es ihm in seiner heutigen Stimmung chon behagt, ganz einsam, hoch über allen Menschen, wie hier im Turm zu itzen und zu sinnen; hatte doch die „stille Weltl“ mit ihrem Tode einen gar wich¬ tigen Meilstein an seinen Lebensweg ge¬ etzt, einen Meilstein, an dem ohne Be¬ trachtung nicht gut vorbeizukommen war. Es war ein gar schlimmer und qualvoller Weg bis zu diesem gewesen, nun aber durfte er, dem müden Wanderer gleich, eine Weile verhalten und erleichtert atmen aber nicht in dieser Backofenluft hinaus, hinaus Eine Stunde später saß er wieder hoch über der Stadt, nun aber in der Ferne, am Waldrand, dort draußen, wo breite Buchen ihr Dach über moosigen Wiesengrund und Waldeskühle wölbten, ozwischen Tag und Nacht, zwischen Waldstille und summendem, brummen¬ dem Leben. Hier hatte sich Hagenauer der Länge nach hingeworfen, die Hände hoch unter den Kopf geschoben und begann zu träumen. Lang, lang war es her, es war auch o ein Tag wie der heutige, da er Ding¬ tadt zum ersten Male betrat. Skabiosen, blütrote Nelken und hohe Orakelblumen standen damals genau wie heute auf den Wiesen und hielten ihre Kelche wie verliebte Weiblein der Sonne zu. O, du verliebte Zeit! Was gab's da in Dingstadt für sau¬ bere Mädel und auch eine Glocken¬ So war's gekommen, gießerei. ** daß Michl in Meister Gassers Werk¬ hängen blieb, wie ein Vogel, der sich talt wo setzt, ein Liedl zu singen, weil nur ihm die Brust so voll und die Welt so chön. Aber der alte Meister ward an hm zum Vogelsteller, denn Michl kann nicht mehr weiter.
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