Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

Immerhin hatten sich doch etliche eingefunden, die dem Steighuber Leute einem Karl zuliebe der Verstorbenen und das letzte Geleite gaben. Langsam und unter lautem Beten ging der Zug das ganze Geviert der Kirchhofmauer dahin. Dem alten Steig¬ huber sickerten Tränen aus den wässerigen Augen. Waren es echte Tränen oden Wenn nicht, es hätte ihn darob nicht? auch niemand anklagen können; denn seines Weibes Hauswirtschaft war ja nicht darnach, daß er dabei hätte glücklich ein können, und er deswegen im Gast¬ hause „zum guten Hirten“ hatte mehr Gast sein müssen als seinen Einkünften gut war. Was mochte sich Steighuber jetzt für Gedanken machen, da er so tostig und schwer neben seinem Sohne schritt? Vielleicht war er froh, daß es endlich so gekommen; ein Leben war es ja schon lange nimmer. — Jetzt blickte er zu seinem Karl auf. Recht sol dachte er, der Bub weint. Ja den Buben hab ich gern, wär der nicht da, ich wüßte nicht, ob ich es so lange ausgehalten hätte. So schritt er dahin und hintendrein noch etliche Ver¬ wandte und Freunde. Noch hatte der Zug eine Längsseite nicht völlig zurückgelegt. Da geschah etwas — das Beten stockte und ganz Seltsames aufhorchend schauten sich alle Begräbnis¬ teilnehmer verwundert an. Was war denn das? Was begann da plötzlich im gleichen Schritt mit ihnen, schwer und tränenvoll in der Luft zu wogen? War das ein — Wunder oder war's ein Frevel? Die Kaiserglocke klang — und es mußte ein Wunder sein. Die Augen wurden allen naß, denn sie glaubten an ein solches Wunder. Der Glockengießermeister Michl Ha¬ genauer hatte sich für diese Zeit vom Mesner den Schlüssel erbeten und stand nun in der Turmstube oben, ohne Rock die Hemdärmel hochgeschürzt und läutete an seiner Meisterglocke. Dabei sprach er bei jedem Zuge ernst und feierlich, daß es klang wie ein Gebet: Arme „Nun mag sie ruh'n, die Arme — Und nicht mehr ihre Finger gierig strecken 85 Dämonenhaft nach meinem Meisterwerk. Klinge ihr Glocke und singe; Schwingt doch ihre Seele in dir!“ Nun hielt er inne, als wollte er sich auf längst Vergangenes besinnen und wie träumend begann er von neuem die Glocke zu ziehen. „Was gold'ne Maienzeit ersonnen Wonnen, Was Liebe birgt an Wunsch und Schmerz, Was Treubruch büßt an Weh und Das alles schwingt in deinem Erz. Nun klinge ihr zum letzten Gange Und läute ihr den Frieden ein, Sanft streichle ihr die welke Wange, Lösch ihr vom Aug' den bösen Schein! Laß ihren Leib die Ruhe finden Und beitle ihre schmale Hand Nicht mehr die Seele zu verlangen, Die ich ins tote Erz gebannt!“ Keuchend und erschöpft ließ er nun das Seil los und trat ans Fenster, von wo das Auge hoch über alle Dächer hin Friedhof fliegen konnte. zum So stand er lange und betete. Ueber dem Sarge der „stillen Wettl“ hatten sich zu dieser Zeit die gelben Lehm¬ brocken, drei aus der Hand jedes Be¬ gleiters zur „Erde“ gehäuft, die da nach gutem Christenwunsch jedem Abgeschie¬ denen leicht sein möge und Vater Steig¬ huber war mit seinen Freunden und Verwandten zum Totenschmaus ins kleine Gasthaus am Friedhofberg gezogen, wo bei schlechtem Bier und Brot die „stille Wettl“ allgemach zur „seligen Wettl umgetauft ward. Aeltere Bekannte wußten da man¬ cherlei über sie zu erzählen. Vorerst waren es ernste, fast traurige Dinge, entsprechend dem Kreise tieftrauernd Hinterbliebener nachdem sich aber Karl empfohlen hatte, weil er die Stunden bei seinem Lehr¬ herrn nützlicher als das Sitzen in der Wirksstube fand, rückten die Gäste noch etwas enger um den Tisch und schwemmten die Leiche so gut es die Mittel zuließen und der Brauch forderte. Harmlose, weit zurückliegende Begebenheiten machten die Runde, die mit dem Maße des vertilgten Bieres immer weniger dem Tage ange¬

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