Das geschah so die ganzen Jahre her. In den letzten Wochen mußte die „stille Wettl“ aber von großer Unruh befallen worden sein; denn ob nun die Kaiserglocke klang oder nicht, die schwarze Frau strich nun allabendlich um den Turm und der Mesner war darob nicht ohne Sorge. Darum machte er sich eines Tages auf und ging zum Schustermeister Steig¬ huber. Der arme Mann konnte ihm aber wenig Beruhigendes sagen. War sein Weib bisher seltsam, du lieber Himmel, das war er ja schon so gewöhnt; er wußte nicht, daß es je anders gewesen, jetzt war es aber viel schlimmer mit ihr. In den letzten Wochen hatte er sogar mehrmals gesehen, wie sie sich des Nachts erhob, ankleidete und das Haus verließ, um erst nach Stunden wiederzukehren. Sie deshalb zu befragen, wagte er nicht; denn fast hatte er auch schon die schwarze Frau zu fürchten begonnen. Denn ihr Wesen war für die engere Umgebung recht beängstigend geworden. Sie sah oft aus als könnte sie sich selbst oder ihren Nächsten ein böses Leid ankun und immen seltener waren die Stunden klarer Ge¬ danken und vernünftigen Betragens. Irgend eine Hilfe gegen diesen Zustand konnte aber Steighuber nicht erfinden und damit konnte auch dem Mesner nicht geholfen werden. Seine Angst um die Kaiserglocke hatte sich wegen des verschlimmerten Benehmens der „stillen Wettl“ während der letzten Wochen so gesteigert, daß er also beschloß, zum Glockengießer Michl Hagenauer zu gehen. Der Glocke drohte sicher eine große Ge¬ fahr. Vielleichl konnte der einen Rat geben, wie man die Glocke besser schützen oder die „stille Wettl“ für die Glocke unschädlich machen konnte. Meister Hagenauer lehnte im breiten Stuhl und hörte den Mesner scheinbau ruhig an, aber seine Stimme zitterte als er nun die Achsel schob. „Was tun?“ Mehr als die eiserne Tür absperren kann man nicht, und was Frau Barbara Steig¬ huber anbetrifft, liegt nicht in unserer Macht. Ihr Benehmen läßt wohl die 83 Absicht auf Gefährdung oder gar Ver¬ nichtung der Glocke annehmen, beweisen aber können wir ihr nichts. Beruhige dich lieber Mesner; wenn es nun wirklich chon so schlimm um sie steht, kann es ja nimmer lange dauern und die Be¬ dauernswerte wird ihren Platz im Irren¬ hause finden müssen. Aber es geschah nichts, bis endlich eines Morgens eine dichte Menschenmenge sich hälsereckend ums Tor des Pfarrturmes drängte. Auch Michl Hagenauer, der Glocken¬ gießermeister, war aus seinem benach¬ barten Hause herbeigeeilt, und nun sah er, wie all die andern, eine schwarz ge¬ kleidete Frau quer vor der verschlossenen eisernen Tür liegen, die hageren Arme, gelb wie Pergament, ausgestreckt, die Finger mit abgebrochenen Nägeln und blutend in die schmale Fuge zwischen Tür und Stock gekrallt, das Antlitz ver¬ zerrt, die Augen herausgequollen, aber tot. Die „stille Wettkl“ wurde auf die Bahre gelegt. Der Mesner stand nicht weit davon, seine Augen gingen suchend über die gaffende Menge hin, suchend nach den Augen Hagenauers. Jetzt trafen ich ihre Blicke, da nickte der Mesner kumm, als wollte er sagen, jetzt ist sie C4 endlich ganz stille, die „stille Wettl und Hagenauer murmelte wie traumverloren ja, ja — jetzt hat sie endlich Ruh, meine Kaiserglocke; dann wandte er sich und wankte seinem nahen Hause zu, noch ehe sich die Menge verlaufen. Am dritten Tage wurde Barbara Steighuber begraben. Das Turmglöcklein über dem Friedhoftore begann zu weinen der Priester sprach sein Gebet und aus der Leichenkammer bewegte sich ein kleiner Zug. In die Leichenkammer hatte man die Steighuberin gebracht und dort auf¬ gebahrt, weil sie nicht daheim in ihrem Bette gestorben. Die Leichenkammer war gewissermaßen die letzte Herberge Er¬ henkter, Ertrunkener, Selbstmörder oder Toter nach Unglücksfällen, lauter arme Seelen also, mit denen Kirche und Welt wenig Aufhebens mehr macht. 62
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