74 lektüre gestört worden sei. In einem bay¬ rischen Beschwerdebuch beschwert sich ein anderer über das dumme Gesicht des Stationsvorstehers, das er bei seinem öfteren Durchfahren durch die Station betrachten müsse, wenn der Zug hier seinen vorschriftsmäßigen Aufenthalt zu nehmen habe. Zahlreiche Beschwerden betreffen die mangelhafte Beleuchtung und vor allem im Winter die meistens zu ausgiebige Beheizung der Warteräume andere wieder beschäftigen sich mit der Tapete oder dem Bilderschmuck in den Wartesälen. Einem andern macht der Bierapparat zu viel Geräusch, und er schimpft über dessen Fauchen und Glucksen und wieder einem andern sind die am Schanktisch verkauften Mineralwasser¬ flaschen nicht groß genug, oder er regt sich über deren zu festen Verschluß auf, weil er durch ungeschicktes Oeffnen einer Selterwasserflasche seine neue Kravatte verdorben hat. Einem andern trommelte der Regen zu sehr auf das Glasdach und im Beschwerdebuch einer Station der Kaiser Franz=Josefsbahn wünschte ein jedenfalls künstlerisch veranlagter junger Mann die Entfernung des Bildes der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich, weil es seiner Ansicht nach nicht schön genug sei. Berechtigte Wünsche betreffen das Aussehen des Fußbodens und die Auf¬ stellung von Spucknäpfen und Aschen¬ bechern oder auch das Anbringen von Kleiderrechen und Schirmständern, beson¬ ders das letztere. Gelungene Verschen findet man zu¬ weilen auch in solch einem Beschwerdebuch und es lohnt sich vielleicht, davon eine kleine Probe zu geben. Meistens hat dock Wilhelm Busch mehr oder weniger bei solchen Versen Pate gestanden, wie etwa in der Art: O, wie beglückt ist doch der Mann, Der zum Vergnügen Reisen kann Doch hier fünf Stunden still zu liegen, Zählt sicher nicht zu den Vergnügen. Eine andere Probe à la Busch: Es glänzet Luna, Es funkeln die Sterne; Mein Anschlußzug Der saust in die Ferne. Ich sehe nur noch Seine Schlußlaterne. Nicht übel, wird der Leser sagen, und wir können ihm darin nur beipflichten. Eine vor Jahren einmal in Bayern angebrachte Beschwerde über den unsau¬ beren Fußboden in der dritten Klasse ge¬ fiel der Eisenbahnverwaltung selber so ehr, daß sie dieselbe sich zueigen machte, uim ihren Inhalt in Gestalt kleiner ge¬ chmackvoller Tafeln in allen Wartesälen anzubringen. Man las darauf folgendes: Was in der Stube gilt als Brauch, Das halte fest im Saale auch. Laß niemals auf den Boden fallen Papier, Orangen= und Eierschalen. Bei gutem Willen kann, ich mein', Die dritte Klasse auch sauber sein. Noch ähnliche solche Fälle ließen sich anführen. Freilich nicht überall machten sich die Eisenbahnverwaltungen die ge¬ reimten Herzensergüsse ihrer Reisenden so zueigen, wie damals in Bayern. Sie liebten mehr oder weniger das Verfahren einer österreichischen Privatbahngesellschaft. die zwar nicht offiziell, aber insgeheim den Vorständen der kleineren Stationen die Anweisung gegeben hatte, zwar genau den Inhalt der Beschwerdebücher durch¬ zulesen, dann aber einfach Seite für Seite mit dem großen blauen Amts¬ tift durchzustreichen und an den Rand die lakonischen Worte zu schreiben: „Da ist nix zu machen!“ Diese Anordnung wurde äußerst gewissenhaft besorgt, und der vorletzte österreichische Eisenbahn¬ minister hat des Scherzes halber ein olches Beschwerdebuch im Wiener Eisen¬ bahnmuseum ausstellen lassen. Wir sehen, es ist einmal ganz interessant, sich mit dem Beschwerdebuch, und sei es auch nur noch in der Erinnerung, zu beschäf¬ tigen.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2