73 Das Beschwerdebuch. Sommerplauderei von L. Dorn. buch immer ganz richtig mit der Tat¬ Offiziell ist es zwar in deutschen ache gerechnet, daß auf dem einen großen Landen vor einigen Jahren durch einen Bahnhof die Beamten sich gar nicht die Eisenbahnukas abgeschafft worden und richtige Zeit nehmen können, dessen Ein¬ liegt nicht mehr im Zimmer des Stations¬ tragungen streng sachlich zu prüfen, was vorstehers aus, wie es einstmals so schön in den seltensten Fällen geschieht und im Eisenbahndeutsch lautete, sondern es dann meist bureaukratisch erledigt wird. fristet heute nur noch ein ziemlich be¬ Damit aber ist dem nervösen und ver¬ schauliches Dasein in einem dunklen ärgerten Reisenden um so weniger ge¬ Winkel der Bahnhofbuffetts, wo es der dient, als es sich im Betriebe großer Durchschnittsreisende nicht sucht, geschweige Bahnhöfe bei Beschwerden meistens nicht vermutet. Und doch hat es uns viel Spaß um Pflichtwidrigkeiten von einzelnen Be¬ gemacht und ist für Jahrzehnte eine er¬ amten handelt, sondern um Verbesserun¬ giebige Fundgrube für unsere Witzblatt¬ gen ganz allgemeiner Natur, die nicht redakteure und wieder besonders für die 4 einem einzelnen zur Last fallen und, wenn Mitarbeiter der „Fliegenden Blättel ge¬ ie der vorgesetzten Behörde zur Kennt¬ wesen. In Reim und Prosa hat so mancher nis gebracht worden sind, auch meistens in diesem Buche seinem Herzen Luft ge¬ bald entsprechend geändert werden. Den macht und ihm berechtigte wie unberech¬ inneren, meist mit Ernst und Empörung tigte Wünsche, wie laute und leise Hoff¬ abgeleugneten Beweggründen verschafft nungen anvertraut. der Beschwerdesüchtige weit eher Geltung, Auf den großen Kreuzungspunkten zu wenn er sich zu diesem Zweck eine kleine den Inhalt eines Beschwerdebuches Station auswählt, wo man die nötige studieren, war im allgemeinen nie recht Zeit hat, das Buch zu lesen und den In¬ lohnend, weil die darin enthaltenen Be¬ halt seiner Beschwerde gebührend zur schwerden und Wünsche meistens sich mit¬ Kenntnis zu nehmen. Gar seltsame Dinge einander deckten und sich mehr auf rein kann man da feststellen. allgemeine Wünsche erstreckten. Außer¬ In dem Beschwerdebuch einer kleinen ordentlich ergiebig aber gestaltete sich die Station schreibt einer hinein, daß beim Durchsicht eines solchen Beschwerdebuches Herauslehnen aus dem Abteilfenster ihm auf kleineren Bahnhöfen, befonders sol¬ der Wind den Hut vom Kopf gerissen chen von Sekundär= und Tertiärbahnen. habe und daß ein Schrankenwärter, der Da feierten der Witz und der Ulk oft dies zufällig bemerkt hätte, darüber ge¬ wahre Feste, und eine Fülle sprudelnder, lacht habe. Mehr als einer hat sich schon arkastischer Einfälle und launiger Be¬ rüher über das zu laute Ausrufen der merkungen ergießt sich manchmal förmlich abfahrenden Züge durch den Bahnhofs¬ über den, der sich die Muße nimmt und portier beschwert, weil er durch dessen ein paar Stunden mit dem Durchblättern Rufen und Läuten mit der Glocke er¬ eines solchen Beschwerdebuches verbringt. schreckt und in seiner Unterhaltung mit Das gute Herz des Reisenden hat seinem Tischnachbar oder seiner Zeitungs¬ bei den Eintragungen in das Beschwerde¬
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