66 die Not und das Elend, das in den Mauern dieser Stadt schon gewohnt hat. Wer denkt daran? Niemand, Gott sei dank, niemand! Kann ja niemand daran so denken, denn die Menschenseele ist klug, so fürsorglich eingerichtet, daß sie ihren Träger immer nur in das Gegen¬ wärtige versinken läßt, ja ihn zwingt, auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Die Enns, die heute so ein friedliches Gesicht macht, sie hat schon fürchterlich gewütet, ihre Nachbarin nicht minder. Vornehm¬ lich die Monate der Schneeschmelze im Hochgebirge, mehr noch aber die Sommer¬ monate Juni, Juli, August, auch noch der September, sind ob ihrer Hochwasser¬ gefahr bekannt. Plößzlich weicht das Grün der Flüsse einem schmutigen kaffeebraun, innerhalb weniger Stunden steigt der Wasserspiegel um Meter, Wogen um Wogen stürmen einher, braun mit weißen Kämmen, Baumstämme kommen herab¬ geschwommen, tanzen gefährlich und dro¬ hend auf den Wellen. Die Enns braucht etwas länger, bis ihr Wasser an den Häusern des Kais leckt, aber dafür be¬ hält sie lange Zeit ihr drohendes Ge¬ haben bei und nur langsam, widerwillig fast, bequemt sie sich, in ihre alte Gestalt zurückzukehren. Anders die Steyr! Ganz sie ihrem sonstigen Wesen gemäß kommt er rasch und ungestüm mit ihrem Wa ie daher, aber ebenso schnell beruhigt sich und wird wieder grün und still. Ein eigenartiges Naturschauspielbietet sich den auf den Brücken stehenden Zu¬ chauern, wenn die Steyr plößlich steigt und soviel Wasser mit großer Gewal mit sich führt, daß sie die Enns staut, was ja umso leichter möglich ist, als durch das langsame Ansteigen des Wasser¬ spiegels dieser anfangs immer ein wenig hinter dem der Steyr zurückbleibt. Der Zusammenfluß bietet dann einen schaurig¬ chönen Anblick, ein dunkles, wütendes Meer tobt vor und unter uns, da schäum und spritzt es, die Joche und die Brücken elbst erzittern unter dem Anprall der herabschwimmenden Bäume, die Ufer überschwemmt, eine Wasserwüste inmitten der Stadt! Das liebliche und anmutige Bild, das sonst der Zusammenfluß der Enns und Steyr bietet, ist verschwunden, ver¬ wandelt sich in eine wüste Szenerie, die aber dennoch in ihrer Wildheit imposant und mächtig erscheint. Die Wassernot ist ast noch fürchterlicher als die des Feuers, denn ohnmächtig ist der Mensch gegen ie und nur eiligste Flucht kann Rettung bringen. Wer ahnt zur friedlichen Stunde die Angst, die die Bewohner des Städt¬ leins ergriffen haben mag, wenn vom Stadtpfarrturm und vom Tabor die Türmer ihr „Feuer! Feuer!“ gerufen und die Glocken die schaurige Kunde in das Land geläutet haben. Schnell hebt sich die Feuerröte gegen den Himmel, ein Prasseln, Krachen und schon fliegen die Funken in die Luft, der Wind, der lockere Geselle, treibt sie von Haus zu Haus, und besonders die Dächer waren es, die uns jetzt so sehr entzücken und als ein charakteristisches Merkmal der Stadt er¬ cheinen, die dem Feuer zuerst zum Opfer ielen, ja es durch ihre Bauart, durch ihr enges Beisammensein begünstigten und ür die weitere Verbreitung des Brandes orgten. Heute freilich, wo die moderne Feuertechnik, vernünftige Bauvorschriften und dergleichen mehr eine große und egensreiche Entwicklung genommen ha¬ ben, ist eine größere Ausdehnung eines Brandes in den Städten fast ausge¬ schlossen. Wir können uns daher heute kaum mehr eine Vorstellung von der Angst und Verzweiflung machen, die bei Feuersgefahr unsere Vorfahren ergriff. Früher, wo die Dächer alle mit Schin¬ deln gedeckt, keine Wasserleitungen da waren, das Löschwesen noch in den Kinderschuhen steckte, war fast nie der Brand auf ein einzelnes Haus zu be¬ chränken, sondern in der Regel ergriff der Wind die brennenden Schindeln und ührte sie weit in die anderen Stadtteile, Tod und Verderben mit sich bringend. Durch die reiche und interessante Geschichte Steyrs zieht wie ein tückischer roter Faden eine Anzahl der furchtbarsten Feuer= und Hochwasserkatastrophen. Die
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