stellung sind werklos. Hast du aber dein Leben an dieses Werk gesetzt, so wirst du auch eines Tages dafür belohnt wer¬ den: Hast du alle Arten wahrer Tränen beieinander, dann schließen sich die Perlen von selbst zu der herrlichsten Kette, die du dir nur denken kannst. Das sei dir ein Zeichen, daß dein Werk Gott wohl¬ gefällt und deine Seele bereitet ist, ein¬ zugehen zur himmlischen Freude. Dan folgte noch eine Beschreibung, wie die gesammelten Tränen behandelt werden müßten, um zu Perlen zu werden. Als der Weise das gelesen hatte, fiel es ihm wie Schuppen von den Au¬ gen, und er rief: „Jetzt weiß ich, wozu ich berufen bin; endlich hat mein Leber einen Zweck bekommen! Was nüße ich. wenn ich mich vor allem verschließe? Mein Wissen ist unfruchtbar und tot. Aberes kann lebendig werden, wenn es dazu dient, den Menschen zu helfen!“ Von da ab änderte er sein Leben vollkommen: Er ging zu den Menschen. zu den guten, den schönen, den armen zu den häßlichen, zu den Kranken und zu den Verbrechern. Ueberall half er, so gut er nur konnte, und wo sein großes Wissen nicht ausreichte, da half ihm sein warmes, unverbrauchtes Herz. So verstrichen Jahre um Jahre, in denen der Weise viele Tränen kennen lernte, die er sorsam sammelte; aber oft, sehr oft zergingen sie zu nichts, anstatt zu Perlen zu werden. Er aber ermüdete nicht, ob auch sein Haar weiß wurde und sein Gang gebückt. Eines Tages fühlte er sein Ende nahen, da trieb es ihn unwiderstehlich noch einmal nach seinen Perlen zu schauen Und siehe da, sie hatten sich zu eine herrlichen Kette zusammengefügt, wie sie noch kein Menschenauge je erblickt hatte. Da fühlte der Weise, daß sein Werk wohlgetan gewesen war. Am andern Morgen fanden ihn die Leute tot. In der einen Hand hielt ei die Perlenkette, in der andern ein Blatt Papier. Jedermann war von der Schön¬ heit der Kette entzückt, aber auch seltsam ergriffen. Auf dem Papier aber ständen 61 die Worte: „Niemand darf diese Kette je zum Schmuckstück erniedriegen. Sie ist aus Menschentränen gemacht, und Tränen sind heilig! Doch schaut sie euch oft an, ihr Menschen, sie wird euer Herz dem Guten öffnen!“ Niemand wußte, was davon zu halten sei. Endlich sagte einer: „Laßt uns die Kette unserm König bringen, dann sind wir sie los. Vielleicht ist das Ganze nur die Narrheit eines Uebergelehrten. Ich habe jedenfalls nie etwas davon ge¬ hört, daß aus Tränen Perlen werden. Dann würde ich mich hinsetzen und den ganzen Tag heulen! Schön ist das Ding, das muß man sagen; es wird einem ganz Ist anders, wenn man es nur ansieht. euch mein Vorschlag recht? Wir hätten wenigstens als schlichte Menschen und gute Untertanen unsere Pflicht getan. Dem stimmte alles zu, und man brachte die Kette dem König. Der war ung und glücklich und hatte eine wun¬ derschöne Frau. Als er die herrlichen Perlen sah, wußte er sich vor Freude nicht zu fassen, hängte sie der Königin gleich um den Nacken und war sprachlos vor Seligkeit und Rührung über ihre Schönheit. Als die Untertanen das sahen, sagten sie zueinander: „Was wollen wir seine Freude durch den dummen Zettel trüben, der doch sicher nur der Narrheit einens uralten Mannes ent¬ sprungen ist. Weg damit ins Feuer! So ward der Zettel verbrannt. Die schöne Königin trug die Kette auf Wunsch ihres Gemahls täglich, doch eltsam, Tag für Tag wurde ihr Anklitz bleicher, ihr Auge trüber, bis sie zuletzt ganz in Schwermut verfiel. Der König ieß alle Aerzte von Ruf aus allen Teilen seines Reiches kommen, aber vergebens. Als nun die Kunde von der Krankheit ins Volk drang, packte diejenigen, die um den Zettel gewußt und ihn verheim¬ licht hatten, große Bestürzung. Sie eilten aufs Schloß, dem König alles zu sagen. Zur selben Stunde aber hatte die Königin die Augen geschlossen; die Last der Men¬ schentränen hatte ihr das Herz gebrochen. Die Leute fürchteten den Zorn des Königs,
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