Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

„Da herinnen! Da ist's schön genug für uns, gelt, Franzl? Und danach schla¬ fen wir ein wenig. „Ich mache Sie darauf aufmerksam daß es hier um zwei Mark mehr kostet bisDeggendorf „Was, zwei Mark?! Das sind ja zehn Maß Bier! Und was kostet es denn (4 im andern Wagen? „Eine Mark pro Person.“ „Herrschaft, ist die Bahn teuer! Gehl's nicht um ein Fünfzigerl für uns zwei? Ueberhaupts, wo der Franzl noch ganz ein kleiner Bub ist. Für solche Kinden kostet doch das Fahren noch nichts, wie ich mir hab’ sagen lassen.“ „Hier wird nicht gehandelt wie auf dem Saumarkt in Deggendorf . .. Wenn Ihnen schon eine Mark pro Person zu¬ viel ist, dann können Sie auf der näch¬ sten Station, in Triefenried, aussteiger und zu Fuß laufen. Der Beamte wendet sich an mich: bist doch schon älter als sechs Jahre? „Du Ich schweige. Denn statt meiner ant¬ wortet der Hiesel: „A wo! Der Bub ist doch höchstens im fünften Jahr'.“ „Und kann schon Lateinisch?“ spöltel der Beamte. Und dann zu mir: „Wann 70 tust du denn geboren sein?“ „Am 12. Juli eintausendachthundert¬ einundachzig. „Also genau neun Jahre,“ rechnel der Beamte schnell aus. „Der Größe nach könntest schon elf oder zwölf sein ... Also zwei Mark für zwei Personen. Der Hiesel nestelt seinen Zugbeutel heraus und seufzt: „Bub das ist eine Todsünd', das Eisenbahnfahren. Mein Lebtag ku' ich's nimmer ... Hab' ich nicht alleweil gesagt — es passiert was?“ In diesem Augenblick gibt es uns einen Ruck, der Beamte stürzt zur Tür hinaus und schreit, was er kann: „Triefen¬ ried!“ Der Zug steht. Hiesels Augen leuchten auf. Erha zur wohl einen glücklichen Einfall Schnell Schonung seines Geldbeutels ... rafft er Stiefel, Stecken und Schnapp¬ in sack zusammen und stürzt davon ... in den nächsten Wagen. 55 Ich ihm nach. Es ist ein kleines schmales Abteil. Nur ein einziger Fahr¬ gast sitzt da, ein sehr nobler Herr, der von einem Buch aufschaut und uns mustert. „Hier gibk's keine Polster, sondern bloß Bänke“ stellt der Hiesel fest. „Aber auch ganz nobel ... Wir setzen uns dem Herrn gegen¬ über und schauen zum Fenster hinaus. Wieder ein Ruck, die Maschine zieht an, der Zug setzt sich in Bewegung. Hiesel schon weltläufig und leutselig geworden durch seine Unterhaltung mit dem Be¬ amten, redet den fremden Herrn an: Tust auch ein bißchen Eisenbahn¬ fahren? Auch zum erstenmal? ** * ** auch Wo kommst den her? Bist in Regen eingestiegen? . . . Fahrst auch auf den Saumarkt nach Deggendorf?“ Der fremde Herr schaut den Hiesel nur ganz verdutzt an und gibt keine Ant¬ wort. Dann liest er wieder in seinem Büchl. Der Hiesel stößt mich in die Seite: „Du, der ist gehörlos — oder es hat ihn sonst ein wenig.“ Dabei macht er die Bewegung eines sich drehenden Rades vor dem Hirn. Dann schauen wir wieder zum Fenster hinaus. Wir können uns nicht genug wun¬ dern, wie alles an uns so leicht und lüf¬ vorbeifliegt: Telegraphenstangen tig Bäume, Häuser, Wälder, Dörfer, Kirch¬ türme. „Da schau her, da schau her, so zu auf der Eisenbahn!“ staunt der geht's „Die Alten, wenn aufstünden, die Hiesel. tätenAugen machen! Das ist ja die reinste Hexerei.“ Auf einmal zupft uns jemand an denRockschößchen. Wir schauen erschrocken um. Der Beamte, dem wir vorhin zu ent¬ gehen hofften, steht wieder vor uns. Und lächelt, wie der Hiesel heraushastet: „Ja¬ wie weißt jetzt du, daß wir da herinnen 74 sind Der noble Herr uns gegenüber lä¬ chelt auch über sein Buch weg. Ganz So fein, das es mich schier ärgert. fein. „Also, was wollen Sie, einfache oder Rückfahrkarten?“ fragt der Beamte.

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