108 vermute zwar, was das Brieflein enthält aber ich kann mich auch irren!“ „Ach sagen Sie, was Sie vermuten? „Nun, gewiß eine dringende Einladung an den Hof von St. Peiersburg!“ „O wie schade!“ entfuhr es dem hübschen Hoffräulein. „Nicht wahr, wie schade — nachden wir uns kaum hier in Warschau eingewöhnt haben und der König anfängt, hier reizende kleine Feste zu geben! Und nun soll alles wieder aus sein! „Ja, aber wenn die große Kaiserin ihrem getreuen Vasallen zu erscheinen be¬ fiehlt?“ fragte das Hoffräulein naiv Dann müssen eben so kluge Lippen wie die Ihren, Fräulein von Billinska, es König auszureden verstehen.“ dem „Wie dürft' ich das wagen? Man munkelt doch, daß die Zarin König Poni¬ atowski liebt. „Desto mehr Grund, diese Liebe zu verhindern — denn die Zarin ist frei, nach¬ dem sie ihren Gemahl ins Jenseits zu be¬ fördern geruhte. „O, Sie Verwegener!“ widersprack das Hoffräulein zitternd; „so schlecht ist die Zar allmächtige Frau, die Zarin nicht Peter III. wurde ohne ihr Wissen erdrosselt! Von ihrem damaligen Günstling Gregor ff —“ Orlo „O nein, von dessem wilden Bruder Orloff! Alexei Einerlei, dies tut nichts zur Sache, flüsterte Orlowski, „aber wir würden unse¬ heiligen Vaterlande, dem Königreich rem824 schlecht dienen, liebste Jadwiga, Polen, wollten wir es an Rußland verkaufen. „Wie wollen Sie eine Verbindung mit 77 der Zarin hintertreiben, Herr von Orlowski? „Das müssen eben kluge Frauenintriger zustande bringen!“ lachte der Kammerherr zynisch; „machen Sie den König in sich so verliebt, daß er die Welt, St. Petersburg und alles um sich her vergißt! Es lebe unser freies Polen! Boze cos Polske! Und der Kammerherr verschwand aus dem Zimmer, um wenige Minuten darauf — es war inzwischen neun Uhr morgens — beim Lever des Königs dabei geworden zu sein. „Brief aus St. Petersburg!“ sagte der Kammerherr mit allertiesster Verbeugung. „Es ist gut!“ erwiderte der König nachlässig, „legen Sie die Mappe dorthin! und er deutete auf ein Nebentischchen. König Stanislaus August Poniatowski, der seine knabenhaft schlanken Glieder durch das tägliche Bad erfrischt hatte, ließ sich von dem Leib=Kammerdiener den Puder¬ mantel umgeben. „Was gibt es Neues, Orlowski?“ „Nichts von Bedeutung, Majestät. In Warschau und ganz Polen herrscht Ruhe Nur sehnen die Untertanen Euerer Majestät sehnlichst den Tag herbei, an dem Polen eine schöne Königin erhält!" Der König seufzte und langte nach der Mappe, die der Kurier aus St. Petersburg gebracht. Er öffnete sie mit einem kleinen goldenen Schlüssel, den er an der Uhrkette trug. König Stanislaus Poniatowski ver¬ tiefte sich in die Zeilen — er seufzte noch chwerer. Sein Atem ging hart und keuchend. Vor seinen Seelenaugen stand die majestätische Gestalt der Kaiserin Katharina der Großen. Dieser bedeutenden Herrscherin war ein wunderschönes Gesicht zueigen, aber die herrlichen Augen konnten nicht nur verführerisch blicken, sie konnten auch Tod und Verderben sprühen. Ueber drei Jahre hielt sie nun August nachdem Poniatowski an sich gefesselt — sie erst die Geliebte des Kosakenführers Gregor Orloff gewesen. Ihm folgte in ihrer Gunst der schöne Graf Potemkin, der seine schöne Freundin in der schändlichsten Weise auszubeuten ver¬ stand und Rußland in Not und Armut stürzte. Und nun spielte die schöne Beherr¬ cherin aller Reußen mit dem ritterlichen in Polenkönig, der ein schwaches Spielzeug ihren Händen war. August Poniatowski kam sich oft selbst ganz erbärmlich vor, daß er den Netzen der klugen Russin nicht zu entrinnen vermochte Wenn sie ihn aber an ihren prunkvollen Hof nach St. Petersburg lud und selige Schäferstündchen mit ihm verschäkerte, dann vergaß August Poniatowski wieder all seine Vorsätze und schmachtete mehr denn je in den Fesseln der grausamen Circe, sie be¬ stürmend, endlich die Seine zu werden und ihn zu ihrem Gatten zu erheben. Hatte die
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2