Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

98 Platz füllte, keiner für sich, jeder für alle lebte. So war es bis zum Tode der „stillen Wettl“ gewesen. Von dort an war es aber, als äße Michl heimlich noch zweimal des Tags, als trinke er in stiller Kammer Bier und Wein; fröhlicher denn je blickten seine Augen und heiterer fand Lukrezia die Stunden neben ihm und doch hielt er es in nichts anders als vordem. Eines Abends verhielt sich nun der Glockengießer wieder auffallend stumm Der Tisch war schon abgeräumt und Hagenauer griff nach seiner Zeitung wie onst. Er fand aber nichts Wichtiges darin, er las nur die fettgedruckten Ueberschriften und legte sie wieder zur Seite. Verstohlen musterte ihn Lukrezia. „Liest du mir heute nichts vor? Wie stehts denn draußen?“ Aber Michl mußte diese Fragen überhört haben, denn er zupfte am Tisch¬ tuche und blickte vor sich wie in weite Ferne. Geräuschlos erhob sich Lukrezia, trat leise hinter seinen Stuhl und lehnte sich an seine Schulter. „Michl, was hast denn heut?e Er hob den Kopf. „Komm, Lukrezia, ich muß dir etwas sagen. (0 „Und? ... „Ja, und — ist leicht gesagt, wenn nichts Böses dahinter kommt. Ich quäle mich eben, wie du merktest. „Michl, ist es denn Böses, ist's ein so schlimmer Gedanke, daß du erst nach den rechten Kleidern suchst, ihn meiner Gesellschaft angenehm zu machen? Hast sonst gerne alles auf der Zunge, was dir am Herzen ist,“ tadelte sie schmollend. „Sei nicht bös; denn es ist etwas von der alten Geschichte. Lukrezia erschrak; sie wußte, was er mit diesen Worten bezeichnete, die alte Geschichte war immer Schlimmes für beide gewesen. Wie ein Kind, dem eine Bitte abgeschlagen worden, zog sie die vorerst schmeichelnde Hand von seinen Schulter und setzte sich kopfhängend auf ihren Stuhl. Nun wußte Michl seine Gattin bereit, selbst Schlimmstes zu hören. „Lukrezia, begann er, „den ganzen Tag schon denke ich an den Steighuber Buben, heute ist er achtzehn Jahre alt und morgen soll er freigesprochen wer¬ den. Ruhig richtete Lukrezia ihre Augen auf Michl. Sie atmete erleichtert auf; das war ja nichts Böses, wie sie vorhin gefürchtet; vielleicht kam jetzt, was sie elbst schon seit einiger Zeit bei sich über¬ legte. Durch achtzehn Jahre war ihr der Gedanke an die „stille Wettl“ schon so geläufig und vertraut worden, warum sollte sie sich nicht auch ihres Kindes erinnern. Für ihren Mann war es aber eine Ueberraschung, nun ganz unvermit¬ telt seine Frau zu hören: „Michl, wir wollen den Anlaß, des Jungen zu ge¬ denken, nicht versäumen, denn so glaube ich dich zu verstehen.“ Michl sprang auf und umfing seine Lukrezia voll heißen Dankes; sie hatte nicht nur erraten, was er dachte, ihr grundgütiges Herz hatte sicher schon be¬ chlossen, was er, der Schuldige, gegen¬ über seiner Frau nicht einmal in Worte kleiden konnte, ohne fürchten zu müssen, dabei eine schmerzhafte Wunde wieder aufzureißen. Von Dank überwältigt, fand er auch jetzt nicht Worte. Lukrezia ent¬ wand sich aber lächelnd seiner Zärtlich¬ keit und strengte sich an, eine ernste, womöglich feierliche Miene aufzusetzen. „Das paßt jetzt nicht, Michl,“ meinte ie wie verweisend, „wir müssen jetzt ge¬ schäftlich reden.“ „Geschäftlich willst du reden, wie kann das bei dir werden. Du warst immer eine schlechte Geschäftsfrau, das kann ich mit Fug und Recht behaupten; denn ich kenne dein Warenhaus, wie reich das ist an Güte, Liebe, zartem Sinn und stiller Häuslichkeit und weiß auch, wie wenig du dir mit deinem reichen Schatz erwirtschaftet hast: ich, der Michl, der eigentlich ein großer Nixnutz war, ich bin dein ganzer Geschäftsertrag durch achtzehn Jahre. Nein, mit deinem Ge¬ schäfte ist es nichts!“

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