Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

Entgleisung. Erzählung von Max Prels. der Zug langsam fahren, könnte er mich Gezackte Felsen schneiden eine wilde hier stehen sehen mit dir und mich er¬ Arabeske in das Himmelsblau: stehen kennen. Und auch ich würde ihn hinter hoch oben wie erstarrte Abenteuer. den Fenstern seines Abteils sehen. Aber Durch das enge Tal tollt ein kleiner ich weiß, der Zug wird nicht langsam Fluß nach Süden. Wo er Wirbel schlägt, fahren, er wird an uns vorbeisausen, kocht noch die weiße Milch der Gletscher, fremd, rücksichtslos. Fort nach Süden. von denen er kommt. Von dem dunkel¬ Und es gäbe keine Macht der Welt, die grünen Sammetmantel des Waldes ist C mich bewegen könnte, ihn aufzuhalten. ein Stück abgeschnitten. Und dort furch Da ist auch schon der Zug zu den sich die Eisenbahn in das braune Ge¬ beiden herangebraust. Donnernd an ihnen lände. vorbei. Verwischte Gesichter flitzen dahin. Edwin Mals geht den schmaler Eva strahlt, trotzig, unbekümmert, jung neben den Schienen. Das Aben¬ Pfad Und ihre Hand preßte die Hand des ist in ihm, so brennend, wie es teuer Freundes und zittert dabei. Zittert, nicht Menschen aufleuchtet, die mit der nur in aus Bängnis, sondern aus Erwartung. Jugend fertig sind und in später Samm¬ Fast bedächtig richtet Edwin Mals — das vor¬ sich auf ein Erlebnis lung an sie die Frage: „Glaubst du nicht, daß — das letzte?— stürzen. letzte es eine Gefahr bedeutet, wenn dieser Das Abenteuer ist Eva Hugen, die Zug ungehemmt und ungebremst in die junge, schlanke, bleichblonde Frau. Ferne rollt? Wenn er hier gehalten Man hat sich durch einen Zufall, hätte, vielleicht... vielleicht, daß wir der ja nichts anderes als der Handlanger uns noch besonnen hätten des Schicksals ist, getroffen. Und hal Ueberlegen und doch sehr zärtlich alle Pflicht und alle Bindung vergessen spricht Eva nur die Worte und ist nur einen Schritt noch davon „Aengstlicher, alter Mann!“ entfernt, das Abenteuer zum Erlebnis Und Edwin Mals starrt dem Zuge reifen zu lassen. Beide fühlen das: heute, nach; sieht wie er klein und unwichtig morgen wird es sich entscheiden. Die wird und sich in der Ferne verliert. Der Stunde ist gekommen, mit ihr die Be¬ Schnee auf den Zinken oben leuchtet denkenlosigkeit. Sie stehen Hand in jauchzend auf. Hand und starren auf die harten Schnüre Eigensinnig denkt Edwin Mals des Elsenbahngeleises. wieder: „Das war der Vorzug. In zehn Aus dem fernen Tunnel bohrt sich Minuten kommt hier der Nachzug vorbei. Zug heraus. Verwischt mit Rauch ein Es könnte sein, daß meine Frau, daß chwarze Loch, hinter dem die Welt das mein Kind in diesem Zuge sitzen. Und aus der sie beide kommen, die liegt daß sie an mir vorbeijagen, und keines Well der Pflicht, die Bodenständigkeil ahnt das andere. Seltsam, sehr seltsam ihres Lebens. ist das. Sie werden an den Fenstern Näher saust der Zug. Eva spricht tehen und werden mich nicht sehen und leise vor sich hin: „In diesem Zug ich werde sie nicht erkennen. Und wenn könnte mein Mann sitzen. Und würde

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