Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

66 aus dem Munde, und Bakhusen eilte in die Klasse, um als erster den Morgen¬ gesang beginnen zu können. Er hielt das für nicht bedeutungslos. Das „Frollein“ bildete das Er¬ eignis des Tages; groß und klein um¬ standen sie während der Pause, und ein —aus der paar zutrauliche Kinder Klasse des Kollegen Nußknacker hängten sich ihr in den Arm. Nicht lange, und sie nahm ein Mädchen bei der Hand und begann ein Kreisspiel, dem sich bald alle Mädchen mit Gesang und Reigen anschlossen. „Nun, nehmen Sie die Jungen, Herr Kollege!“ rief sie Bakhusen zu, der abseits stand und zusah. Bakhusen wandte sich und ließ sich als Examensmaterie das „Spiellied und die „Kindergärten“ durch den Kopf gehen; es wollte aber nicht recht. Graubeiß schien das Spielen viel zu wild und toll zu werden. „Sehen Sie“, begann er zu Hansen. „das ist so ein ungeschultes Frauen¬ zimmer. Keine Gesittung, keine Ehrbar¬ keit! Und der Respekt vor der Lehrer¬ und Erzieherpersönlichkeit geht jämmerlich verloren! Ol o!“ „Kollege Nußknacker wird sich hof¬ fentlich bald wieder aufrappeln“, meinte Hansen beipflichtend, „der alte Jean Ohm spielt eine niederträchtige Karte. Ein so trauriger Skat gestern abends... Und dann setzte er seinem Zuhörer eingehend den Verlauf des Spieles aus¬ einander. Der neue Geist, den Graubeiß so sehr fürchtete, war auch dem Bakhusen durch den Kopf und Herz geschossen; er erlebte oft Sonderbares in seinen Vor¬ arbeiten zum Examen. Da schienen plößzlich ganze Reihen mumifizierter Pharaonen durch einen weiblichen Thron¬ folger unterbrochen und in ernste jüdische Bußpsalter klang ein unvorschriftsmäßig heiteres Lachen. Und dann sah er seine Kollegin im Kreise fröhlicher Kinder, pielend, lachend, tröstend, helfend, je nachdem es not war. Und wie verändert er die Klasse des Kollegen Nußknacker fand. „Frollein“ hier, „Frollein“, da, und in aller Munde. „Wie nett die is“ hieß es, und „mir hat sie Butterbrot gegeben“ und „mir hat sie den Rock wieder ange¬ näht" und „mir 'n Lappen um den Finger gemacht!“ „Sie haben da eine praktikable Methode mitgebracht“, sagte er eines Tages zu ihr, als sie sich um ein ver¬ letztes Kind bemühte, „ich möchte Ihnen dieses und jenes abgucken. Zum Examen, wissen Sie... Sie lachte. „Solcher Schuld bin ich mir nicht ewußt“. Das „Lehrbuch des Sonnen¬ cheins“ ist unentgeltlich und Heftpflaster und Watte sind nichts Außergewöhn¬ liches. Ihnen steht das alles zur Ver¬ ügung und wenn Sie dann noch etwas von der Weisheit Ihrer schätzenswerten Bücher hinzutun, dann müssen Sie ja ein göttlicher Schulmeister werden! „Sie spotten“ sagte er halb gereizt, halb beschämt und versuchte, sich zu recht¬ ertigen. „Und Dank weiß Ihnen niemand dafür“, meinte er dann, „Sonnenschein allein tut's wohl doch nicht.“ Susi.Meyenheim lächelte. „Da chauen Sie“, sagte sie und löste ein Zweiglein mit frischen Kätzchen von ihrer Bluse, „das ist von der kleinen Lise Ohm — Skat=Ohm sagen die Leute mit der ich ein paarmal mein Frühstück gekeilt. Ich schenk es Ihnen.“ „Danke. Salix capraea vermutlich „Pfui, Sie — Sie — Graubeis! — Nußknacker! Sie Und dann lief sie fort. Graubeiß wurde täglich nervöser. Was die Vertretung auch alles angab! Tagtäglich Spaziergänge mit den Kin¬ dern und Spiele drinnen und draußen. Und oft griff er sich verzweifelt an den Kopf, wenn aus der Klasse lustiger Lärm oder lautes Kinderlachen herausdrang. Wie würde das Klassenbuch erst aus¬ ehen! Ihm graute. Und verschiedene An¬ zeichen deuteten auf eine bevorstehende Inspektion. Schon sah er den Allge¬

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