Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

54 Die Gegner maßen sich, prüften ihre Gesichter. Hier war plößzlich in vollem Ernst ein Kampf entbrannt, den wir durch Scherzworte wohl nur verschärft hätten. Wir waren erlöst, als unser über¬ legter Studienrat das Wort nahm: „Zank überzeugt keinen von uns. Ich schlage vor, Brand folgt unserer Bitte, noch heut Versuch anzustellen. Wir bitten einen C4 Mann für Mann darum. Nicht Ja, wir baten laut und eindringlich „Einverstanden! Uhren hatten für mich von Jugend an einen besonderen Reiz; darum meine jetzigen Versuche mit Uhr ihnen. Ich nahm das Bild jener in mich auf; mein Hirn ist ein wahres den Museum. Ich behielt jahrelang las eigenartigen Klang einer Uhrglocke, dichterische Aussprüche über die Uhren kenne natürlich Selma Lagerloefs uhren¬ und reparaturlisternen „ehemaligen Trom¬ melschläger“ so gut wie Mark Twains Tragikomödie der kranken Uhr, Turgen¬ jews und Pontens Uhr=Novellen. Kurz Uhren waren meine Kameraden; ihm Geschick ging mir nahe. Zu meiner Stand¬ uhr, meinem Versuchskind, zurück! Sie hat kein auserlesenes Kleid. Was mich beim Händler zu ihr zog, war ihr einzig¬ artiger Schlag, ein so tiefer, weicher Ton. in dem etwas Unsagbares mitschwingt. Wenn ich nachts vor ihr sitze, meiné ich die Erfahrung eines gereiften gütigen Menschen spreche aus ihr. Schlägt sie nicht mindestens wundervoll? Gesteht! Wir gestanden. „Nun denn! Fassen wir die Gelegen¬ heit am Schopf in den paar Minuten bis zehn Uhr! Brand beschwor uns, bis dahin weder zu lachen, noch zu sprechen nur, an sie zu denken, jeden Schlag stumm nachzuzählen, womöglich auf Zetteln zu verzeichnen. Allerdings: nicht jeder Ver¬ such gelinge. „Gerade das echte Medium ist mitunter indisponent! Höchster Beweis einer Eignung!“ spottete einer von uns Brand blieb fest. Hauptsächlich von uns, von der nötigen Andacht werde der Versuch abhängen, äußerte er. „Ich werde dieser Uhr befehlen, sobald ihr Zeiger auf die Zehn vorgerückt ist, schon die elfte Stunde auszurufen. Nachher mögt Ihr weiter über die Möglichkeit lächeln, auch beweglichen Dingen ohne Hirn eine Aufgabe zu suggerieren — wenn Ihr noch lächeln könnt.“ „Nötige Andacht müßt Ihr mir bringen!“ er wußte sich geschickt den Rücken zu decken, der gute Brand. Doch bereits veränderte er seine Gebärden, wurde uns fremd, obwohl wir ihn seit Jahren kannten. Die Arme hob er, als flehe er um Beistand; feierlich chritt er, zuerst unverständliche Sprüche murmelnd, mehrfach vom Tisch zur Uhr, faßte sie mit scharfem Blick, durchbohrte ie förmlich, fiel sogar nieder. Mit unter¬ geschlagenen Beinen saß er vor ihr; er verneigte sich, berührte sie mit der Stirn, sprang wie besessen rückwärts, daß wirs mit der Angst bekamen, erhob die Stimme zu furchtbarer Inbrunst und donnerte mit verzerrten Mienen: „Elf Uhr schlägst du, nicht zehn! Elf, elf, elf!“ Er fauchte den kategorischen Imperativ gegen das arme Gestell, erschütternd, daß elbst uns Zeugen das Gruseln über¬ wältigte. Nur so besonnen waren drei von uns noch, Papier und Stift zu be¬ nützen, um nachzurechnen, Brands Wahn¬ sinnsanfälle sollten uns nicht täuschen. Wie ein heulender Derwisch hockte er abermals vor der Uhr; sie, Gläser, Lampe, Wände und wir zitterten bei einem neuen Vorfloß: „Elf! Elf! Elf!“ Jetzt stand der Zeiger genau auf Zehn. „Elf! Elf! Elf!“ Unsere Bleistifte standen auf dem Papier. Mit ihrer merkwürdigen Stimme begann die Uhr zu sprechen in die Toten¬ tille hinein! ... sieben, acht, neun, zehn elf Schläge! Uns überlief kalter Schauer. Brand strauchelte, suchte mit unsicherer Hand eine Stuhllehne. Die Gesichter am Tisch verfärbten sich. Die Arme fuhren erregt hin und her. Martin, der Zweifler, beichtete nach kurzem Schweigen, er habe

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