bösen Novembersturm, zu den seltsamen, sturmgepeitschten Nebelfetzen, die gleich mir durch die farblose Einöde der Nor¬ mandie fliegen. Von Zeit zu Zeit läßt mich ein Regenschauer aus der bösen Stimmung erwachen, ein Schrei der Möve aus leeren Träumereien auffahren. Und ich denke schmerzerfüllt an den ein¬ samen, traurigen Schloßherrn auf Castell Blaissy, an ihn, dessen starre Augen mich schon so oft verfolgten in Träumen, aus denen ich stets schweißtriefend in läh¬ mendem Entsetzen erwachte. Kastell Blaissy, ein uraltes bizarr erbautes Schloß, liegt hart am Meere seine Türme ragen weit ins Land, in jene kahle, ernste Normandie. Selten kommt ein verirrker Wanderer scheu daran vorbei. Seit kurzem war es durch die Gnade Bonapartes an Jerome rück¬ erstattet, dessen Vater es während dei Revolution entrissen worden war. Es dunkelt, die Fackeln an dem Wagen erhellten zitternd den Weg endlich rasselt das Gefährt über die Zugbrücke in den Hof, ein alter Dienen tritt begrüßend heran; der Herr sei wiede nicht wohl, sagt er mit seltsam schnarrender Stimme, der man das lange Schweigen anmerkt. Er habe das böse Gesicht. Ueber die von Renaissancefiguren flankierte Freitreppe, durch leere, fensterlose Ge¬ mächer geht es weiter über enge, ge¬ wundene Treppen empor; bald rechts dann wieder links, kreuz und quer durch könern hallende Gänge. Den Weg weist mir der Lichtschein eines verzerrte Schattenbilder malenden Talglichtes. Eine schwere Eichentüre versperrt uns den Weg. Mit silbernem Klöppel pocht und mein Führer dreimal — leise doch nervenerregend in der atemlosen ich Gespanntheit der Nacht. Es öffnet er langsam die Tür und heraus tritt sch der einst so blühende, herrliche Men in mit dem Gesicht eines Irren ge¬ — schemenhaft sich gesunken brochen. Nur jene furchtbaren, kalten er¬ starren Augen lassen ihn mich kennen: 51 „Alfred, ich danke Dir. Ich brauche —ich bin ja Dich, Deinen Lebensmut — so verzweifelnd allein! o allein Wir setzen uns und nach wenigen belanglosen Worten fuhr er jäh, unver¬ mittelt auf: „Hast Du dies Bild schon gesehen? Ich blicke auf, es war das Gemälde einer Frau von berückendem Liebreiz, von außerordentlicher Keuschheit und Reinheit. Als ich seine Frage verneinte, agte er seltsam konlos, gebrochen: „Es ist meine Mutter. „Sie ist schon lange kot?“ Ich er¬ innerte mich nie von ihr gehört zu haben. Da traf mich ein langer, starrer Blick, ein nicht enden wollendes Ge¬ lächter folgte, ein Lachen, das sich im Echo verzehnfachte, ins Uferlose an¬ schwoll, sich einem gräßlich, erstarrend in die Seele fraß. „Jerome; keuchend stieß ich es hervor „Ah, ach, Du verzeihst mir — es geht schon vorbei. Ich habe Dich des¬ halb rufen lassen — Du mußt sie hören die Geschichte meiner Mutter Ge¬ chichte. Es ist schön zu wissen, aus was für Holz man geschnitzt ist — ich habe es vor wenigen Wochen aus einem alten Fetzen Papier erfahren. Nun, gib acht:Meine Eltern lebten ihr junges, großes Glück hier auf Castell Blaissy einsam und zurückgezogen, als die Re¬ volution durchs Land gellte. Nach qual¬ voller Flucht wurde mein Vater erkannt, vor das Tribunal gezerrt und zum Tode verurteilt. Meine Mutter konnte noch rechtzeitig entkommen und es gelang ihr, sich Zutrikt in die Bastille zu verschaffen, wo sie verkleidet bei meinem Vater eine letzte Nacht verbrachte. Auf den Knien flehte er sie beim Abschied an, ihn im letzten Augenblicke nicht zu verlassen und zum Beweise ihrer hohen, heiligen Liebe, einer Guillotinierung beizuwohnen. Sein letzter Blick, sein letztes Wort sollten ihr 721 gehören. Und so kam es. „Bürger“ Blaissy ward am Richtkarren durch Paris ge¬
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