Die rote Julie stand auf. Das Mädchen sollte seinen Willen haben. Es ließ sie sonst nicht mehr von hier fort. Und drüben stand doch wartend Max, der Clown! ... Hans würde sie ja aus¬ schelten. Aber was lag daran! Sie ging doch in einigen Tagen von dannen, mi dem Manne, den sie liebte... Als die anderen schliefen, erhob sich Hans vom Stuhl, auf dem er wortlos gesessen hatte. ist los?“ fragte die rote „Was chlaftrunken. Julie „Das Seil war heute nicht fest ge¬ nug. Ich will einmal nachsehen.“ „Jetzt in der Nacht?“ „Ja. Sonst liegt vielleicht morgen früh der ganze Kram auf dem Boden.“ „Allein kannst du doch nichts machen!“ „Der Junge muß mir helfen.“ Er stieß den blonden Knabenan. Erschreckt fuhr dieser aus dem Schlafe. „Marsch! Komm mit! Als der Knabe draußen im Mond¬ licht stand, das weich den Platz um die alten Bäume beschien, kam das Heim¬ weh, das ihn während der letzten Tage schon gepeinigt hatte, mit Macht über ihn. Er begann leise zu weinen. „Das Seil ist nicht fest. Ich muß hinauf, um zu sehen, wo es fehlt, hatte der Seiltänzer zu ihm gesagt. Der Knabe hatte aber die Worte nur wie von ferne her vernommen. Sein Herz schlug schwer. Er kam sich wie verirrt vor unter diesen Menschen. Warum war er von Vater und Mutter fortgegangen? Unter Tränen sah er, wie Hans droben auf das Seil ging... er wunderte ich ein wenig, warum der Seiltänzer sich in der Mitte so lange niederbeugte... auch gewahrte er ein Blinken, wie den Schein eines Spiegels oder eines ers Me Da war der Seiltänzer schon wieder bei ihm. „Nun ist es recht!“ sagte er zu dem Knaben. Seine Stimme war spröde. Es klang etwas mit wie eine Drohung. Da sah er die weinenden Augen 49 des Jungen. „Geh schlafen! Morgen chicken wir dich heim! Du paßt nicht zu uns!“ Als der Seiltänzer nachher an einem schlummernden Kind vorüberging, legte er seine Hand auf die hohe, klare Stirn des Mädchens. Das besänftigte etwas die Flut seiner Gedanken, die alle um ein Ziel kreisten. * * * Er stieg die Strickleiter empor und dachte dabei ganz kühl und mit einer tarren Ruhe: nun kommt die Abrech¬ nung! Der Andere mag seines Weges ziehen! Aber Julie muß für ihre Schuld bezahlen! Der blonde Knabe, der ihm die Binde vor die Augen legte, sagte besorgt: „Sie zittern ja!“ „Schweig still! Mach vorwärts!“ Nun war Nacht um ihn. Sein Fuß tastete auf das Seil. Er hörte, wie das Publikum drunten verstummte. Jetzt mußte Julie aus dem Wagen kommen, auf der anderen Seite zum Seil empor¬ teigen... dann würden sie einander entgegengehen... bis zur Mitte des Seiles ... Und dann!. Ein heißeres Röcheln kam aus einer Brust. Warum aber diese lange Stille? Warum kam Julie noch immer nicht? Eifersucht flammte in ihm auf. Sollte sie auch jetzt wieder bei dem Anderen .. Da kamen Stimmen zu ihm herauf. Rufe der Verwunderung, der Freude, der Erwartung. Des Seiltänzers Gestalt straffte sich. Er wußte: Nun kam sie, auf die er wartete. Drunten wieder Schweigen. Drüben aber, auf der anderen Seite, ein leises Zittern des Seiles. Da wußte er, daß ie oben war. Sein linker Fuß betrat das Seil, der rechte folgte. Ein leichter Schwindel wollte ihn erfassen, aber rasch hatte ihn die Stange, die er in den Händen trug, wieder ins Gleichgewicht gebracht. 4
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