Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

42 Essen noch ziemlich unbekannt. Das ganze Mittelalter hindurch griff man tapfer mit den Fingern in die Schüsseln, und wenn es Brei oder Suppe gab, so bediente man sich höchstens eines Brot¬ stückes, um damit die Flüssigkeit aufzu¬ kunken. War ein Stück Fleisch zu groß dann griff man wohl zu dem Messer, das man stets am Gürtel trug, und zer¬ kleinerte es sich. Auf dem Tisch lag nur das Messer, das zum Vorschneiden diente denn in der feinen Kultur der Ritter¬ zeit war das Tranchieren zu einer der „edlen Künste“ geworden, die der junge Adelige neben Reiten, Fechten und Tanzen lernte. Der Hausherr bediente sich also bei Tisch des Tranchiermessers, das er in zierlicher Weise handhabte, und allmählich kam aus der Küche auch der zweizinkige Bratenwender auf den Tisch, an dem das Geflügel aufgespießt wurde. Auf diese Weise erschien die Gabel zum erstenmal im Eßsaal; aber sie hat noch viele Jahrhunderte gebraucht, bevor sie in die Hände der einzelnen Essenden gelangte. Da man sich im we¬ sentlichen der Hände zum Essen bediente, auch der Gebrauch eines Löffels war in den feinen Kreisen verpönt so mußte man vor und nach dem Essen die Finger waschen und reinigte sich auch häufig während der Mahlzeit die Hände an dem Tafeltuch, das man sich über die Knie legte. In der Zeit der Renaissance aber empfand man diese Eßformen mit der Steigerung der Lebensform doch schon als etwas unappetitlich und in den „Tischzuchten“ werden bestimmte An¬ tandsregeln aufgestellt, wie z. B.: Die Hand, mit der Du das Fleisch nimmst, darf nicht mit Fett von anderen Stücken besudelt sein! Halte Deine Hand nicht zu lange im Eßgeschirr! Fahre erst hinein, wenn der Andere seine Finger aus der Schüssel genommen hat! Nimm nicht mehr Fleisch wie Dein Nachbar! Fasse Dir nicht an der schmutzigen Nase oder an unanständige Körperteile und nachher mit der gleichen Hand in die Schüssel usw. Die Zeit drängte also danach, Werk¬ zeuge einzuführen, die die Finger beim Essen ausschalteten. Dazu boten sich Löffel und Gabel. Der Löffel stieg aus den niederen Volkskreisen, wo er stets verwendet worden war, in die höheren Schichten empor, aber man verwandte ihn zunächst noch nicht als Eßlöffel, ondern als Vorlegelöffel. So schreibt z. B. Erasmus von Rotterdam in seiner „Tischzucht": „Wenn Dir jemand aus einem Kuchen oder einer Pastete etwas mit dem Löffel reicht, so empfange es mit einem Brotstück und schütte die Speise auf das Brot (die Brotscheibe, die damals noch allgemein als Teller diente).“ Noch am Hofe Ludwigs XIV. aß man übrigens aus einer großen Suppenschüssel, in die jeder mit dem damals bereits eingeführten Eßlöffel fuhr, und erst die feinen Damen des Hotel Rambouillet brachen mit dieser Sitte und forderten für jeden seinen eigenen Suppenteller. Die Suppenkelle war eine Erfindung des Herzogs von Montausier, die sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einbürgerte. Die Gabel ist ein Geschenk des Orients an das Abendland; sie war zuerst am byzan¬ tinischen Hofe üblich und scheint von dort nach Venedig gekommen zu sein, das ja so enge Beziehungen zu Byzanz unterhielt. Aber allgemeinere Verbreitung in den höchsten Kreisen fand die Gabel erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahr¬ hunderts und zwar wurde die Benutzung zur gebieterischen Notwendigkeit infolge der Mode. Bei den gewaltigen steifen Halskrausen, die man damals trug, war es ganz unmöglich, die Speisen mit den Fingern zum Munde zu führen. Man brauchte daher zunächst Löffel mit sehr langen Stielen, und dann war es König Heinrich der Dritte von Frankreich, der die Gabel aus Italien einführte. Der geistvolle Kulturhistoriker Franklin hat deshalb gesagt, wir würden noch heute mit den Fingern essen, wenn nicht der Mühlsteinkragen aufgekommen wäre. Um sich die kostbaren Krausen und Spitzen nicht zu beschmuten, band man sich nunmehr auch Servietten um den Hals, aber das Mundtuch blieb noch

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2