Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

Inseln“ gesprochen, wo noch echte alte Volkskultur herrscht und in eindringlicher Worten deren Abbröckelung geschildert owie die Fragen erörtert, wie dem bei¬ zukommen sei. Das Gegenspiel hiezu, wenn man so sagen darf, war der tiefschürfende Vortrag „Städterheimat“ des Stutt¬ garter Volkskundlers Bäuerle, dessen Darlegungen über die Gründe des Heimat¬ losigkeitsgefühles des Großstädters und über die Wege, wie auch dem Großstädten wieder „Heimat“ zu schaffen sei, von ge¬ radezu erschütternder und erhebender Wir¬ kung waren. Die beiden Vorträge be¬ rührten den Hauptnerv unseres gesamten Kulturlebens und entrollten mit greller Deutlichkeit die großen sozialen Fragen der Gegenwart. Der dritte am darauf¬ folgenden Tage von dem Münchner Dr. Gruber gebrachte Vortrag übersah von hoher Warte aus alles bisher auf der Tagung geäußerte und predigte in geist¬ vollster Weise und mit überzeugender Kraf die Verinnerlichung des Menschen durch eine kräftige Willensbildung, ohne welche alle äußerliche Volksbildung nur Stück¬ werk sei. Es ist hier nicht der Platz, auch die übrigen, ebenfalls ungemein anregenden Vorträge österr. und reichsdeutsch. Heimat¬ kundler näher zu besprechen, nur von dem will ich erzählen, was noch viele Monde in den Herzen kräftigen Nachhall haben wird Der weite Saal der Universität war des Abends erfüllt mit erwartungsvollen Gästen, die beiden alten Volksspiele zu „Paradeisspiel“ und „Totenkanz“ chauen, welche die Spielschar des Salz¬ burger Wandervogels mit tiefer Wirkung bot. Ein gutes Stück heimatlicher Kultur steckt in diesem Streben, diese gehaltvollen alten Mysterienspiele der modernen seichten Theaterware gegenüber zu stellen. Auch in der Männertracht der Salzburger einzu¬ scheint eine erfreuliche Besserung treten, denn immermehr bürgert sich der früher getragene grüne Rock mit schwarzem Kragen ein, der in Verbindung mit dem feschen verschnürten Hut von bester Wir¬ kung ist, eine wahre Wohltat in dem nichtssagenden Grau der Alltagsmode. 6 117 Im hellsten Sonnenglanze mußten wir das herrliche Salzburg verlassen, schon löste der Lärm der „Dult“ wo hunderte bunter Wimpel flatterten, die stille Arbeit der Heimattagung ab; Der Zug brauste dem engen Paß Lueg zu, von der Höhe des Tennengebirges glänzte die neue Hütte beim Eingange in die Wunder der Eisriesenwelt und die Torsäule auf der anderen Talseite schickte einen Er¬ innerungsgruß an eine Bergfahrt auf die „übergossene Alm“. Langsam geht es den steilen Mandlingpaß hinan, dann aber halten wir abends unter Pöller¬ knall, Musik u. festlicher Stadtbeleuchtung, was freilich nicht uns, sondern dem Ju¬ belfeste der Radstädter Feuerwehr galt, Einzug in diese alte Stadt, die noch von der mächtigen, mit wuchtigen Türmen flankierten Stadtmauer umgeben ist. Unter den vielen Hunderken von Erinnerungs¬ malen an den Weltkrieg dürfte wohl das von Radstadt eines der gelungensten und timmungsreichsten sein und wurde von den Heimatkundlern auch gebührend ge¬ priesen und bewundert. Dann aber hub eine wahre Men¬ schenwanderung an zum Festspielplatz am Fuß der Festungsmauer, wo eine Reihe von riesigen Lärchen den wundersamen Platz säumen, wo die alte „Comedy vom jüngsten Gericht“ in der Neubearbeitung von Proffessor Dr. Außerer in Salzburg in ganz ausgezeichneter Weise und mit wahrhaft erschütternder Wirkung aufge¬ führt wurde. Man staunt über die große Zahl ausgezeichneter Sprecher, die der verhältnismäßig kleine Ort aufzubringen vermag, sowie über die einfachen, aber ungemein wirkungsvollen Bühnenbehelfe, die die Wirkung des Spieles erhöhen. Aber auch diese erhebenden Stunden entschwanden, die Sterne versteckten sich hinter grauen Regenschwaden, bald schlugen chwere Tropfen an die Schnellzugsfenster, denn es ging wieder der Heimat zu, jener Scholle, von der es im berühmten Friesen¬ liede heißt: „Wer die heimat nicht liebt und die heimat nicht ehrt, Ist ein Lump und ist des blücks der heimat nicht wert. 268

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