106 brücken nichts ahnend in die schmale Dorfgasse einbogen, fanden sie einen förmlichen Menschenauflauf vor. Kopf an Kopf standen die Leute nebeneinander, aus allen Fenstern starrten sie und die Sommerfrischler, die so nichts anderes zu kun hatten als warten auf irgend eine Abwechslung und Sensation, standen schon mit ihren Kameras bereit und zuletzt kurbelte ihn noch der Leiter der Film¬ gesellschaft als wäre er ein zweiter 144 „Tom Mix: Und was er erst alles anhören mußte! Wie sie raunten und tuschelten und lachten! „Was? das ist der Wildererkönig? den hätt ich mir auch fescher vorgestellt!“ oder „jetzt wer hätt das vom Zwobruckner Sepp gmoant? A so ein scheinheiligs Luader!“ Solche und ähnliche Aussprüche mußte Herr Zwischenbrücken über sich ergehen lassen und konnte an sich selbst so recht das Sprichwort erproben: „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Ihm war ganz einfach schauerlich zu Mute. Er zerfloß förmlich vor Schande, Hitze und Schmach. Endlich gelangten sie zum Gendarmerieposten, wo das erste Verhör stattfand. Und hier war er wenigsten den Augen all' der Neugierigen entrückt und das qualvolle Spießrutenlaufen zu Ende. Es war sein Glück, daß gerade sein alter Bekannter, Nationalrat Schoißwohl, zufällig auf dem Posten anwesend war. Allerdings war zwischen den beiden in letzter Zeit eine kleine Entfremdung ein¬ getreten. Und das kam so: Herr Scho߬ wohl hatte sich schon lange vorgenommen einmal einen Vortrag Zwischenbrückens zu besuchen und brachte diesen Plan auch zur Ausführung. Es war aber dies zu¬ fällig ein Vortrag über recht köstliche Bauernschwänke, unter anderm der, „wic sie statt der Ahnl die Kletzen begraben. Schoißwohl hatte für diese Art Humor kein Verständnis, er fühlte sich beleidigt, so oft die Leute lachten und empfing Zwischenbrücken am Ende des Vortrages mit den Worten: „Na wissens, so dumm san mir Bauern net, wia se moanen! Und seitdem waren, wie gesagt, ihre Beziehungen etwas gespannt. Wie er aber jetzt seinen alten Freund in einer so erbarmungswürdigen Ver¬ fassung daherkommen sah, hatte er doch Mitleid; er setzte sich für ihm ein und redete ihm ein gutes Wort, daß sie ihn auch auf freien Fuß setzten und ihm nur das Versprechen abnahmen, sich jederzeit für die Verhandlung bereit zu halten. Und Herr Zwischenbrücken atmete erleichtert auf, als er ganz aufgelöst und erschöpft mit dem nächsten Schnellzuge der Reichshauptstadt zudampfte. Hier aber ereilte ihn dasselbe Schicksal. Seine Abenteuer waren ihm chon vorausgeeilt. Die Zeitungen ver¬ kündeten sie in den grellsten Farben, die Schaufenster zeigten sein Bild, wie er gefesselt und mit Rucksack und Gemsbock beladen, die schwarze Larve vor dem Gesicht, vom Förster abgeführt wird. Die Kinos brachten als neuesten Wochen¬ bericht: „Unschädlichmachung des be¬ rühmten Wilderers von Molln.“ Es war zum verzweifeln. Wo er sich zeigte und wer nur zu ihm kam, von nichts anderem wurde gesprochen. Seine Freunde und Freundinnen ließen sich von ihm immer wieder den ganzen Hergang er¬ zählen, hörten ihn auch voll Mitleid an, brachen aber plößzlich in so schallendes, unauslöschliches Gelächter aus, daß er beleidigt schwieg. Und dann kam die Gerichtsverhand¬ lung. Das war die Hauptsensation. Zwischenbrücken bekam die Vorladung und begab sich mit dem Schnellzug, demselben, mit dem er damals in sein Unglück fuhr, sogleich nach St., wo die Verhandlung stattfinden sollte. Im selben Zuge aber fuhren eine ganze Menge Leute aus der Hauptstadt, zumeist aus dem Kunden= und Bekanntenkreise Zwischenbrückens mit. Sie wollten sich dieses Theater nicht entgehen lassen und kamen auch auf ihre Rechnung, denn eineso „fidele Gerichtssitzung“hatte noch niemand erlebt. Das ganze Gebirgs¬ dorf war gleichfalls erschienen, an der Spitze Herr Schoißwohl mit seiner Rosel, und ziemlich im Hintergrunde saßen schein¬ bar ganz gleichgiltig und uninteressiert,
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2