Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1924

48 neigte mich dankend und war bald ganz vollständig von meiner fesselnden Rolle absorbiert. Mein Abgang unter jubeln¬ dem Applaus war das Stichwort für Jennys erstes Erscheinen, und an allen Gliedern bebend, beobachtete ich, wie sie sich benehmen würde Langsam, mit graziösen Bewegungen trat sie bis in die Mitte der Bühne und stand nun hier im vollen Lichterschein still und schön wie eine Statue. Der Empfang, der ihr von seiten des Publikums zuteil wurde, war ein ziem¬ lich kühler, und als der spärliche Applaus verhallte, begann sie zu sprechen. Klar und hell, bis in die entfernteste Ecke des dichtgefüllten Hauses dringend, ertönte die Stimme meines Weibes, sich modulierend nach der Harmonie der lieb¬ lichen Verse, die sie zu sprechen hatte ein Vortrag, wie ich ihn hinreißender nie gehört zu haben mich erinnerte. Ein leises Murmeln der Bewunde¬ rung durchlief die versammelte Menge, der erste günstige Eindruck war bereits hervorgebracht. Jetzt hatte ich auch wieder zu er¬ scheinen, und nun begann zwischen uns beiden eine Szene voll zärtlichster Leiden¬ schaft, voll Tränen, Trennungsschmerz und Verzweiflung. Jenny spielte mit tiefer Empfindung: die instinktive Harmonie ihrer Bewe¬ gungen, der volle, reiche Klang ihrer Stimme, die anfangs leise und klagend, später voll leidenschaftlichen Schmerzes ertönte, schien die Zuhörer buchstäblich zu atemloser Stille zu bannen. Aber als ich am Schluß des Aktes mich endlich ihren umschlingenden Armen gewaltsam entriß und sie bleich und bewußtlos zu Boden sank, da fiel der Vorhang unter einem solch donnernden Beifallssturm wie ihn die Mauern des Northopolis¬ Theaters wohl zum erstenmal wider¬ hallten. Immer und wieder verlangte das begeisterte Publikum Jenny zu sehen. D Als sich der Tumult endlich gelegt hatte, zog ich mich mit meiner, nun halb ohnmächtigen Jenny hinter die Kulissen zurück. Der alte Willbrandt umschlingt uns abwechselnd mit beiden Armen und dicke Tränen rollten über seine gefurchten Wangen. Der Autor sowie die Londoner Kriti¬ ker und Unternehmer drängten sich auf die Bühne und überhäuften uns mit Glückwünschen. Auch meine Kollegen und Kolleginnen versuchten hie und da ein Wort einzuschalten. „Empfangen Sie meine Gratulation, meine Liebe, lispelte Fräulein Hasting mit wütendem Lächeln. „Ich war vom Anfang von Ihrem Erfolge überzeugt,“ schnarrte die alte Harmann. „Frank, lieber Junge, deine Frau wird dein Glück machen,“ bemerkte der gutmütige Johnson „Wie stehts nun mit den Neulingen, Großmamachen?“ fragte der junge Everard, aber die Dame war taub für seine Satire. Was nun Jennys Erfolge betraf, so waren die übrigen Akte nur eine Wie¬ derholung des ersten; das Stück, vom An¬ fang bis zum Ende, war ein riesiger Triumph. „Aber Jenny,“ rief ich, als wir end¬ lich unser trauliches Heim wieder er¬ reicht hatten, „bist Du wirklich mein lie¬ bes kleines Weibchen oder irgendeine Zauberin aus dem Feenland? „Sei nicht töricht, Frank,“ flüsterte die Gute, „was ich heute abends getan, würdest du nicht so wunderbar finden wenn du die Quelle kenntest, aus wel¬ cher ich meine Inspiration geschöpft.“ „Mein Liebling, sag' es mir, woher nahmst du deinen Mut, deinen Genius?“ „Kannst du es nicht erraten, Frank?“ Ich schüttelte den Kopf. „Aus meiner Liebe zu Dir!“ mur¬ melte sie, und in leidenschaftlicher Um¬ armung schloß ich sie an mein Herz.

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