Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1924

Jenny. Eine Bühnengeschichte. (Nachdruck verboten.) daß von jener Hasting alles abhängt „Es hat keinen Zweck, Mehringer und ich lasse mir das Stück nicht verun¬ das Stück kann nicht gespielt werden, talten — lieber soll die Aufführung ganz keine Frau auf Erden würde diese Rolle unterbleiben. Verwünschtes Frauen¬ in solch kurzer Zeit übernehmen.“ zimmer! Hätte sie nur den Grund des Herr Willbrandt, Direktor des Städti¬ Roten Meeres gesehen, ehe ich die Tor¬ chen Theaters in Northopolis, ließ heit beging, mich mit ihr einzulassen! ein verzweifeltes Stöhnen vernehmen Die ganze Saison hindurch bereitet sie und versenkte beide Hände tief in die einem fortwährend Unannehmlichkeiten, Taschen seines schabigen überrockes — und nicht genug damit, muß sie mir nun eines Kleidungsstückes, für welches er noch die ganze Geschichte über den Hau¬ die ganze Anhänglichkeit alter Bekannt¬ fen werfen. schaft fühlte und von dem er sich durch¬ Argerlich vor sich hinbrummend, ver¬ aus nicht zu trennen vermochte. ließ der Direktor das Zimmer, um einem „Es ist entsetzlich fatal, Herr Direktor,“ der Zimmerleute seine Anweisungen zu versetzte ich voller Teilnahme. „Könnte erteilen. denn Fräulein Hasting nicht überredet Der arme, alte Willbrandt! Ich fühle werden, auch unter den vorliegenden herzliches Mitleid für ihn; bemerkte ich Umständen ihr Möglichstes zu tun?“ doch schon seit Wochen, wie die Sorgen „Gehen Sie doch und fragen Sie die und Argernisse seines Amtes die Fur¬ Dame selbst,“ sagte Willbrandt mit chen in seinem noch recht hübschen Ge¬ bitterem Auflachen. „Sie kennen ja ihr sichte vertieften und sein dichtes dunkles liebenswürdiges Temperament. Höchst¬ Haar mit manch silbernen Streifen wahrscheinlich, daß sie vor dem ver¬ durchzogen. Eine Theaterdirektion ist nur ehrten Publikum mit einem geschwollenen selten auf Rosen gebettet, aber der arme Gesicht erscheinen wird! Aber selbst Willbrandt schien mir auf einem wahren wenn sie bereit dazu wäre, denken Sie Dornenlager zu ruhen, wenn die über¬ nur an den lächerlichen Anblick einer nommenen Verantwortlichkeiten und die romantischen Heldin mit einem unver¬ pekuniären Arrangements der ihm an¬ kennbaren Anfall von Gesichtsrose! vertrauten Bühne sein müdes Haupt Nein, nein, mein Junge; jetzt müssen überhaupt zur Ruhe kommen ließen. wir die Vorstellung aufgeben und für Und doch galt das Städtische Theater morgen abend eine „Wiederholung“ an¬ in Northopolis für einen wünschens¬ kündigen; anderes bleibt uns für den werten Besitz, denn es war eines der Augenblick nicht übrig.“ größten und schönsten in der Runde, und Ich wagte noch einen schwachen Ein¬ wenn es gelang, den Nagel auf den Kop wand. zu treffen und den Geschmack der recht „Aber, Herr Direktor, einige der ersten zahlreichen Bevölkerung zu befriedigen, Reporter und mehr als ein berühmter der konnte buchstäblich sein Glück dort Kritiker kommen morgen extra hier¬ machen. her, um das neue Stück zu sehen. Hierin jedoch lag die große Schwierig¬ Hätte es einen durchschlagenden Erfolg, keit. Northopolis hatte in bezug auf so könnten Sie mit der ganzen Gesell¬ theatralische Aufführungen seine ganz be¬ schaft in die Hauptstadt gehen.“ sonderen Ansichten, von welchen es um „Mein Junge, was nützt alles Re¬ keinen Zoll breit abwich. den?“ schnitt der Direktor kurz meine Sich diesen populären Vorurteilen Vorstellungen ab. „Sie wissen recht wohl,

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