4 vor Schmerz und Schrecken. Tag und Nachts saß die Gattin Reynands zu¬ sammengekauert in einem Lehnstuhl und sann, wie sie den geliebten Gatten retten könnte. „Aber was ist denn mein Verbrechen? Warum nehmen Sie mich gefangen? frug der Graf, als man ihn von der Seite seiner entsetzten Frau gerissen hatte und nun gegen Paris trieb. „Euer Verbrechen wird Euch vorge¬ halten werden von Jenem, zu welchem wir Euch jetzt führen, von dem Gerichts¬ präsidenten“, war die Erwiderung. „Und wer mag es sein?“ sagte der Graf mit einem Anflug von Verachtung. „Franz Gautier“ entgegneten die Soldaten, und von diesem Moment an wußte er, daß sein Schicksal besiegelt und auf Barmherzigkeit nicht zu hoffen sei. III. Franz Gautier, der ehemalige Pächter des Grafen von Reynand, saß in einem bequemen Sessel, das Haupt auf die Hand gestützt, düster vor sich hinstarrend. Sein finsteres, leichenartiges Aussehen verriet die ganze schreckensvolle Geschichte jener blutigen Tage, jener grausamen Szenen, zu welchen sein Ehrgeiz und seine Rachsucht ihn verleitet hatten. Auf dem vor ihm stehenden Tisch waren Pa¬ piere und Dokumente aller Art ausge¬ breitet. „Gut, ist's für heute genug?“ fragte er plötzlich, wild auffahrend, als er eben wieder ein Todesurteil ausgefertigt hatte. „Noch nicht ganz, Bürgerpräsident. Hier ist eine Frau, die schon den ganzen Tag in den Gängen des Rathauses her¬ umläuft und — Ehe noch der Sprecher seinen Satz vollenden konnte, stürzte eine junge lieb¬ reizende Frau in das Zimmer, auf Gau¬ tier zu. Ihr aufgelöstes Haar fiel in langen Locken über ihre Schultern herab, die Augen traten fast aus ihren Höhlen; auf ihrem Antlitze prägten sich Kummer und Schrecken aus. Obgleich sie die Tracht einer flämischen Bäuerin trug, so verrieten doch ihre Schönheit und ihre anmutigen Bewegungen, daß dieselbe nur eine Verkleidung war, und Gautier lächelte boshaft und triumphierend, als er die Gräfin de Reynand in ihr er¬ kannte. „Setzt Euch, Bürgerin!“ sagte er in barschem, anmaßendem Tone. „Mein Herr“ begann Frau de Rey¬ nand, die Hände faltend und mit bitten¬ dem Blick zu ihm aufschauend. „Nennt mich Bürger!“ unterbrach Gautier sie barsch. „Wir erlauben keine aristokratischen Titeln in diesen glück¬ lichen Tagen der Gleichheit und Brüder¬ lichkeit. „Ach“, rief die Gräfin, „Sie müssen mir vergeben, ich weiß gar nicht, was ich # rede! Meine Gedanken sind verwirrt, aber, oh Bürgerpräsident, wenn dies der Name ist, mit dem ich Sie anreden soll haben Sie Mitleid, haben Sie Erbar¬ men! Man hat meinen Gemahl arre¬ tiert, und er ist doch unschuldig. Ich schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist, daß er unschuldig ist! Erlauben Sie mir, daß ich frage, welches Los ihm be¬ vorsteht?“ „Das Los, das alle Verräter und Feinde der Republik zu erwarten haben“, erwiderte Gautier höhnisch lachend. „Aber er ist keines von beiden“, rief die Gräfin in wahrer Todesangst aus „er hat nie, nie etwas gegen sein Vater¬ land getan, nie sich in eine Verschwö¬ rung eingelassen. Wessen können Sie ihn anklagen, Herr Gautier, als daß er Sie mit Wohltaten überhäuft hat! Oh, mein Herr, reden Sie, sagen Sie mir, was sein vermeintliches Verbrechen sein soll! „Verbrechen?“ schrie Gautier wütend. „Ist er nicht ein Aristokrat? Hat er nicht das Volk mit Füßen getreten?“ Einen Augenblick sah ihn die Gräfin mit stummer Verwunderung und Ent¬ rüstung an, dann rief sie stammelnd: „Diese Anschuldigung von Ihnen! Er stutzte, fuhr zusammen, suchte sich aber schnell wieder zu fassen. „Die Dankbarkeit einer einzelnen
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