schlüpfte er hastig in seinen Ueberzieher, nahm seinen Hut und eilte davon. Eine Lungenentzündung! Er sah das liebe Gesicht ganz verändert — rot, heiß, schmerzlich verzerrt. Die Krankheit wurde furchtbar, ihre zarten Kräfte fast aufreibend Er mußte einen harten Kampf um ihr Leben führen. Aber er blieb siegreich, sie gesundete wieder. Als er ihr endlich ein längeres Sprechen wie „ja“ und „nein“ gestattete, war ihre erste Frage, wie viele Wochen es noch bis Weihnachten wären? Er lachte. „Warum? Möchten Sio wohl gar als Christkindchen auferstehen? Da fehlt Ihnen das gekrauste Haar, die Metergröße usw. Aber was geht Sie Weihnachten eigentlich an — Sie haben ja hübsch im Bett zu bleiben. Hastig richtete sie sich empor. „Nein, nein das geht nicht, Doktor! Ich muß bald wieden auf, ich muß. „Keine Spur! Sie bleiben die Feier¬ tage hindurch im Bette liegen und gesunden lang am, aber sicher.“ „Für eine Stunde darf ich aber dock auf, nicht wahr? An den Feiertagen!“ „Nein, gar nicht. Wenn Sie stärker kräftiger wären, dann vielleicht. Aber bei IhrerZartheit nicht.“ Sie drängte nicht weiter in ihn. Er fandsie auch immer still im Bett liegen, wenner kam, aber mit ihren Kräften wollte es nichtrecht vorwärts gehen. Bis ihm ein Verdachtkam, der ihn nicht wieder losließ und ihn endlich dahin trieb, sich zu über¬ zeugen. Es war am Tage vor dem Weihnachts¬ abend, da ging er zu einer Abendstunde, in der siesein Kommen nicht mehr erwartete zu ihr. Die Hausmagd öffnete ihm die Türe, wurde aber verlegen, als sie ihn sah. „Bitte, Herr Doktor, ich muß die gnädige Frauerst fragen, ob ich Sie hineinlassen darf. „Ah bah!“ sagte er und schob sie bei¬ eite. Bis ins Vorzimmer hörte er Frau Lüttings, der Haushälterin, Stimme. Nack raschem Anklopfen trat er ins Zimmer. Was er hier sah, fesselte ihn an den Boden. Frau Anna saß im lichten Hauskleid in einem hohen Lehnstuhl. Dicht vor ihr stand 79 eine große, schöne Tanne — diese behing sie mit Flitterschmuck, Naschwerk und Bäckereien. Frau Lütting half ihr dabei. Erschrocken stand er da und starrte Frau Anna an — sie aber lächelte ihm sanft ent¬ gegen. „Ich habe Ihr Gebot nicht befolgt und bin ausgestanden, nicht wahr? Und nun ärgern Sie sich über mich, ich weiß! Warum überfallen Sie mich aber auch zu unge¬ wohnter Stunde? Sie hätten sonst gar nichts davon gemerkt.“ „Ach so? Aber weil ich doch etwas gemerkt habe, deshalb stehe ich jetzt hier Sie machen sich aufs neue krank, ich ge¬ tatte es nicht, daß Sie schon aufstehen, wenn auch für noch so kurze Zeit. Frau Lütting kann dies ganz gut allein richten. Die alte, behäbige Frau nickte. „Habe ich der Gnädigen auch gesagt, meinte sie. „Aber nein, für die Kinderchens muß immer alles mit eig'nen Händen zugerichtet werden. „Pst! Pst! Frau Lütting —!“ schalt Frau Anna leise. „Kinderchens —?“ Der Doktor machte große Augen. „Was für Kinderchens?“ Und da Frau Anna zu Boden sah und schwieg, fragte er: „Frau Lütting, reden Sie, was sind das für Kinderchens?“ Einen Augenblick schaute die alte Frau zögernd auf ihre Herrin, da diese aber nicht aufsah, versetzte sie: „Nun für die zwei Dutzend Kinder, für die die gnädige Frau alljährlich das Christkindlein ist.“ „Schweig', Lütting!“ war Frau Anna hastig eingefallen, und da sie die alte Frau dennoch nicht vom Reden hatte zurückhalten können, fügte sie jetzt unmutig hinzu: „Geh', geh', mach' dich hinaus und besorge das Nachtmahl.“ Als die gute, redselige Frau draußen war, wurde es totenstill im Zimmer. Auf einmal wandte Frau Anna den Blick zu dem Doktor hin. Und es lag unendlich viel Wärme und Güte in diesem Blick. — Da riß es ihn zu ihr hin „Anna Liebe Anna!“ Er kniete vor ihr und drückte das Gesicht in ihren Schoß. Sie strich schweigend leise mit der Hand über sein Haar. Er hob den Kopf und sah sie bittend an. „Kannst du mir verzeihen, daß ich dich für hartherzig hielt?
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