78 „Ich kann Ihnen keine Antwort geben, lassen Sie es gut sein!“ erwiderte Frau v. Miltner müde. „Ich begreife nicht! Ich begreife nicht!“ Mila wiegte leise das Haupt zu den lebhaft gesprochenen Worten. „Wenn es noch für Erwachsene wäre! Da denkt man sich eher, die Leute sollen arbeiten, sie sind oft träge und betrügen einen nur mit ihrer Not. Aber für Kinder, hilflose Geschöpfe, denen die Not den Duft von ihrer Kindheit, ihrer Jugend raubt — da begreife ich wirklich nicht! „Dann muß ich Sie schon ohne Ver¬ ständnis scheiden lassen, sagte die junge Frau und erhob sich. Sie hielt es nicht länger aus, mit diesem Kopfschmerz ein der¬ artiges Gespräch zu führen. Mila schnellte auf und stand mit hoch¬ mütiger Miene da. „Es tut mir wirklich leid daß ich gnädige Frau somit nur be¬ lästigt habe. Ohne Erfolg für meine Sache. Gestatten gnädige Frau, daß ich mich empfehle.“ Mit kurzer Verbeugung ver¬ chwand das junge Mädchen. Dr. Purner trat zu Frau v. Miltner. „Ich werde mich auch empfehlen, sagte er. benötigen dringend der Ruhe. Ich „Sie morgen wieder nachsehen.“ werde Frau Annas Augen folgten ihm mit einem schmerzlichen Blick. Er verkannte sie sie hatte ihn vielleicht verloren! und Seit einigen Wochen war Dr. Purner täglich gekommen. Gleich nach dem Tode Gatten war er zu Frau v. Miltner ihres gerufen worden. Die schöne, feine Frau hatte ein tiefes Interesse in ihm erweckt. Jetzt wandte sich dieses aber Mila Mühlberg zu. zwei Tage später Frau Anna von ihrem Als chmerz befreit war, kündigte er ihr an Kopf daß er seine Besuche einstellen würde. Sollten die Schmerzen wiederkehren, rufen „ Sie mich!“ fügte er hinzu. „Ich habe jetzt eine dringende wissenschaftliche Arbeit vor, odaß ich in der nächsten Zeit nur jene Kranken, die mich dringend brauchen, be¬ uchen werde.“ Mit ihrem blassen, ernsten Gesicht nickte sie ihm zu. Und da er draußen war, nickte sie noch einmal und drückte eine Hand fest an die Brust. Vielleicht hatte er für Besuche bei Fräulein Mühlberg mehr Zeit. Sie hatte erfahren, daß er gestern in der Mühlberg'schen Familie einen Besuch machte. Ach, sie stand ihm nicht im Wege, wenn er sein Glück anderswo suchen wollte! Sie war nicht die Frau danach, ihn mit allen Mitteln festzuhalten. Ein merkwürdig sanftes Lächeln stahl ach, sich in die feinen Züge der Frau ie wußte schon, auf ihrem Wege da fand das Glück zu viel Steine, an die es sich mit den flüchtigen Sohlen hart stieß — da blieb es lieber auf einer anderen Straße! Es war ein kalter, fahler Novembertag. Dr. Purner saß in seinem Arbeitszimmer, das wohlig durchwärmt war. Er hatte seine wissenschaftliche Arbeit vor, machte aber ein unmutiges Gesicht dazu. Seit Wochen schritt die Arbeit nicht mehr vorwärts. Er wußte nicht warum. Es war so o still in dem Hause, wo er wohnte, die unbelebt die Straße. Und dennoch Sache konnte nur an seinem unruhigen Gemütszustande liegen. Die schöne Mila gefiel ihm immer mehr, aber er merkte es, 6 ie spann Fäden, reizende Faden, die ihn ins Garn locken sollten. Und gegen diese Bewußtheit sträubte er sich innerlich. Dr. Purner hatte sich in seinen Lehn¬ essel zurückgelehnt und schloß nun die Augen. War sein Empfinden für Mila eigentlich ein leidenschaftliches? So wie es bei der Liebe fürs Leben sein sollte? Es entfuhr ihm plötzlich ein lautes „Nein“ als könne er sich nicht laut genug Antwort geben, so schien es. Und da schob sich ein anderes Frauengesicht vor ihn hin — ein blasses, stilles, leidendes. Hatte es ihn nicht u dieser Frau viel, viel mehr hingezogen? Er sprang plötzlich auf, voll Zorn. Ließ sie ihm keine Ruhe, diese kalte, herz¬ ose Frau, die ihr Vermögen zusammen¬ charrte in häßlichem Geiz? Was war er denn für ein Narr? Es klopfte jemand an seine Tür. Als er öffnete, stand seine Haushälterin draußen und berichtete: „Herr Doktor möchten sofort zu Frau v. Miltner kommen! Die Dame ist schwer erkrankt.“ Es fuhr ihm wie ein heißer Schrecken krank war sie, schwer krank? — ns Herz Einen Augenblick stand er reglos, dann
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