Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1923

70 „Wir wollen ihn hierbehalten,“ be¬ stimmte Rolf, „und ich werde alle mein Spielsachen mit ihm teilen. Frau Thekla sah lächelnd auf die rei¬ zende Kindergruppe und stimmte unter der Bedingung zu: „Wenn seine Mutter es er¬ laubt. „Wir wollen sie sehr bitten! Unser Spielplatz ist doch so schön, aber es ist so langweilig, immer allein zu sein. In Begleitung der Burghardschen Er¬ zieherin trat jetzt eine Dame an die Garten¬ tür und rief den kleinen Jungen. „Günther, komm zu mir!“ „Ach bitte bitte, lassen Sie uns Günther hier,“ bat die Elfjährige, die ge¬ wöhnt war, daß ihre Wünsche sich stets er¬ füllten. Sie gehörte zu den immer seltener werdenden kleinen Mädchen, die sich noch mit Kindern freuen, die kaum halb so alt wie sie selbst. sind Herr Burkhard trat nun heran und grüßte verbindlich die elegante, auffallend schöne junge Frau, die sich unter leichtem Erröten verneigte. „Ich möchte so gern mitspielen, Mutti, bat nun auch der kleine Gast und ohne eine stürmten die Drei Zustimmung abzuwarten, nun nach dem Spielplatz, der sich unter schattigen Bäumen befand Die Erzieherin folgte ihnen nach sagte „Ein wundervolles Plätzchen, Fremde mit liebenswürdigem Lächeln die „Darf ich Sie bitten, näher zu treten Frau,“ lud Herr Burkhard höflich gnädige Wie rasch doch die Kindheit Freund¬ ein schließt!“ schaft Die Dame zögerte einen Augenblick, aber schritt sie durch das Gartentor dann Spielplatze zu. dem Frau Thekla hatte von der Veranda die kleine Szene beobachtet. aus Die Dame und das Kind waren ihr nicht mehr fremd. Sie hatte beide oft auf den Promenaden gesehen und von allen Kurgästen waren sie ihr am meisten aufge¬ fallen, weil beide, Mutter und Kind, ebenso elegant wie schön waren. Sie wußte auch daß sie im teuersten Hotel Wohnung ge¬ nommen hatten und das genügte, um eine Badebekanntschaft anzuknüpfen, die schließlich zu nichts verpflichtete Man sucht sich, so lange man sich gefällt. Das Geplauder mit einer eleganten, chönen Frau war das, was ihr in der ländlichen Zurückgezogenheit bisher gefehlt hatte. So machte man sich bekannt und wurde denn auch von Tag zu Tag intimer. Und Herr Burkhard rieb sich vergnügt die Hände, als er beim ersten Zusammentreffen des Künstlers mit der schönen Regine Lindner denselben betroffen aufblicken sah. Nur eine Sekunde zuckte auch die junge Frau mit den Wimpern, dann lächelte sie zauberhaft und verneigte sich kaum merklich vor dem Maler. „Verteufelt stolz ist sie, dachte der Beobachter; „das ist recht! Das wird ihn reizen, ihn den Verwöhnten.“ Mit großer Befriedigung reiste er diesmal ab. Die Gefahr für seine Frau war glücklich beseitigt. Die schöne kalte Witwe war der richtige Blitzableiter für den Frieden eines Hauses. Klug und witzig, war Regine Lindner bald eine liebe Gefährtin Frau Burkards; aber kalt, stolz und unnahbar blieb sie für Lorenz Kahenberg. Manchmal zuckte sie kaum merklich zu¬ sammen, wenn er in ihre Nähe kam und sie erblaßte, wenn er ihrem Knaben ins Antlitz sah, oder gar seine Hand auf seinen Lockenkopf legte. Dann rief sie schnell das Kind zu sich schickte es fort aus seiner Nähe und „Unser Gast ist Ihnen wohl nicht sympathisch?“ forschte die Hausfrau, die ihre neue Freundin heimlich beobachtet hatte „Nein, erwiderte diese kurz und wandte sichab „Das wundert mich, er ist doch sonst Liebling der Frauen. ein „O ja — ich weiß wohl,“ kam es wie in Verachtung von den roten Lippen. Sie erhob sich und entfernte sich so eilig, als brenne ihr plötzlich der Boden unter den Füßen. Der Maler folgte ihr von weitem mit glutvollem Blick. Seine weißen Zähne

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