Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1922

96 Der größte Mann der Zeit. Der General¬ feldmarschall. „Was Sie sagen?“ staunte offenen Mundes der Wirt. „Hindenburg!“ „Sie sprechen den großen Namen gelassen aus. „Aber wie kommen den Sie dazu? Rohner warf sich in die Brust. „Ge¬ schenk meines Paten. Meine Mutter diente bei ihm, als er noch Hauptmann war. Er hob mich aus der Taufe. Später, als er in Magdeburg stand und ich schon bei der Bühne war, geriet ich in Verlegenheit. Ich brauchte ein paar Ritterstiefel, die ich nirgends beschaffen konnte. Da wandte ich mich in der Verlegenheit an den Paten. Er half mir mit diesem Paar abgelegten, hohen Schaftstiefeln aus. Ein glücklicher Zufall war es, daß ich sie immer so sorg¬ fältig aufbewahrte. Nun haben sie einen unbezahlbaren Wert. Erst kürzlich wurden mir 1000 Mark dafür geboten. Aber ich gab meine Reliquie nicht her.“ Rohner chluchzte laut auf und führte die Stiefel an seine Lippen. „Jetzt muß es doch ge¬ schehen.“ Scheinbar gerührt legte Vollmeier die Hand auf seine Schulter. „Nein, nein Sie brauchen sie nicht zu versetzen oder zu verkaufen. Um meinetwillen nicht. Das Pfand ist mehr als genügend. Ich hebe Ihnen die Stiefel auf — in meinem feuer¬ festen Geldschrank. Hier wären sie ohnehin nicht sicher — jetzt, wo so viel Schuhe gestohlen werden. Bleiben Sie nur bei mir, Herr Rohner, bis Ihr Geld kommt. Und wenn Sie in augenblicklicher Verlegen¬ sind — hier heit Mit schmunzelndem Blick schob der Mime den ihm gereichten Zwanzigmark¬ schein ein — Der Lammwirt war überzeugt, die beste Rechnung seines Lebens gemacht zu haben. Das Patenkind Hindenburgs war selber Goldes wert. Den Mann durfte er gar nicht aus dem Hause lassen. Bei der ersten Gelegenheit mußte er seine Gäste davon in Kenntnis setzen, ihnen die Reli¬ quie zeigen. Das würde den Zuspruch seines Hauses gewaltig mehren. Am Abend füllte sich die Restauration. Auch ein paar Hofschauspieler waren da¬ runter, Benno Allweg, der Held, der Cha¬ zu rakterspieler und andere. Sie gehörten Vollmeiers besten Bekannten. Durch sie würde die Sache am schnellsten verbreitet. Mit geheimnisvollen Worten bereitete er sie auf den Anblick der Reliquie vor, ohne zu verraten, wie er in ihren Besitz gekommen. Dann ging er, seine Trophäe zu holen. Die Schauspieler stießen einander an. „Merkwürdig antik. Man sollte meinen, der Feldmarschall hätte damit auf der Bühne gestanden. Benno Allweg sprang plötzlich auf. „Zum Teufel — ich sehe doch recht. Rudolf kennst du meine alten Ritterstiefel nicht nehr? Der Charakterdarsteller betrachtete die Reliquie genauer. „Sehr gut. In der „Rabensteinerin“ hast Du sie das letzte Mal getragen. „Gewiß. Aber sie wurden zu schäbig. Und gestern kam ein armer Kollege. „O, der war auch bei uns.“ „Der Kerl dauerte mich. Seine letzten Schuhe waren zerrissen. Da gab ich ihm das Paar. Er sollte sich aus dem Leder beim Schuster etwas machen lassen. „Ein armer Kollege—“ stotterte Voll¬ meier, ganz blaß geworden, „hieß er Rohner? „Ganz recht. Er wollte hier gastieren. Aber aus der Sache wurde nichts. Da¬ geriet er in Not.“ durch Jetzt schoß dem Wirt das Blut zu Kopf. „O ich Esel!“ schlug er sich an die Stirn und rannte, die Reliquie in der Hand, davon. Unter seinen mächtigen Schritten dröhnte die Treppe. Die Tür zum Zimmer des Mimen war nur angelehnt. Wutschnaubend stieß er sie auf. Das Nest war leer, der Vogel aus¬ en. geflo Auf dem Tisch aber lag ein Zettel. „Bin abgereist. Sobald ich wieder bei Kasse bin, wird alles bezahlt und mein Kleinod ausgelöst. Verwahren Sie es gut. Titus Rohner.“

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2