Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1922

92 haben! Der Wein war dabei so spottwohl¬ eil, daß mehrere hundert Personen in Deutschland dem Dämon des Trunkes zum Opfer fielen. So verkehrt sich oft Segen in — Fluch durch der Menschen Ver¬ schulden! Im 17. Jahrhundert wird uns das Jahr 1630, mitten im bösen Dreißig¬ jährigen Kriege, als vortreffliches Wein¬ ahr genannt, und am Neckar prägte man ogar eine Denkmünze darauf mit der Inschrift: „In diesem Jahr war Most sehr gut, All Keller überfließen tut.“ Hoffentlich war der Most besser als diese Verse! — Auch das 18. Jahrhundert hatte eine Reihe „guter Herbste“ aufzu¬ weisen, aber keinen, der vorbildlich oder gar sprichwörtlich wurde. Dagegen gilt das vom 19. Jahrhundert. Wer gedächte da nicht vor allem des berühmten „Kometen¬ weines“ (1811), so genannt, weil damals mehrere Kometen am Himmel standen, die man als drohende Kriegsvorzeichen deutete, was das folgende Jahr (1812) bestätigte. Damals herrschte warmes Frühlingswetter und die Reben konnten günstig abblühen. Dann kam ein warmer Sommer mit perio¬ dischen Gewitterregen, wodurch das Wachs¬ tum und Gedeihen der Trauben ungemein gefördert wurde, die bereits Ende August reiften. Die Lese war daher ein voller Erfolg, quantitativ und qualitativ. Was Wunder, daß ein so verschwenderisch ge¬ spendeter edler Tropfen auch der Dichter Zungen löste? Goethe vor allem, der bekanntlich ein Kenner war, sang wiederholt begeistert des „Elfers“ Lob, z. B.: „Von meinen Liedern sprechen sie Fast rühmlich wie vom Eilfer, Und Blum' und Zweige brechen sie, Mich kränzend wie den Eilfer.“ Und im „West=östlichen Divan“ sang er in orientalischen Rhythmen: „Setze mir nicht, du Grobian, Den Krug so derb vor die Nase Wer mir den Wein bringt, sehe mich freundlich an, Sonst trübt sich der Eilfer im Glase!“ In Studentenkreisen erklingt zuweilen noch heute Geßners „Der Geist von Anno Elf“: „Beim Lindenwirt im Keller ruht Ein großes Faß voll Traubenblut, Gekeltert Anno Elf, Und in dem staubigen Fasse kreist Dem Lindenwirt sein böser Geist, Der Geist von Anno Elf.“ als Weiter wäre das Jahr 1834 doch gutes Weinjahr zu nennen. Gedenkt Hermann Lingg 50 Jahre später (1884) jenes edeln Tropfens noch und wünscht dem „Heurigen“ eine gleich gute Note: „Der Wein, der hochgepriesene Wein! Die Fässer, die noch welchen hegen, Sind wertvoll wie ein Kleinodschrein! Auf jedes soll man Kränze legen, Und durch die Keller ziehe Sang Und Saitenklang. In seinem Alter hat er doch An edlem Feuer nicht verloren? Nein, zugenommen hat er noch! Ein Hoch dem Jahr, das ihn geboren! Auf Heuriger, tritt an das Reich Und werd' ihm gleich! Leider tat das der „Vierundachtziger“ dem weinseligen Poeten nicht zu Gefallen: er blieb nur ein mäßiges Getränk. Da¬ gegen war das Jahr 1857 ein vorzügliches Weinjahr. Damals schwang sich sogar „Kladeradatsch“ der doch sonst mehr zu tun hat als Preishymnen auf einen guten Tropfen zu singen, zu einem schwungvollen Lobliede auf den „Siebenundfünfziger“ auf, das in seinem Rythmus und Reimfall an die berühmte Schüttelreimpoesie späterer Zeit erinnert: „Der Wein, der Fünfzig=Siebener, Ist ein von Glut Getriebener, Ein Sommerwonnen=Bronnentrank, Ein wilder, milder Tonnentrank, Der Gläubige aus Spöttern macht Und selig und zu Göttern macht. Frist Seht, wie er aus der Gärung ist! Gestiegen schon zur Klärung Wie froh der Kamm den Pres ern schwillt Weil klares Gold aus Fässernquillt!“ Auch 11 Jahre später, 1868, gedieh ein ganz vorzüglicher Tropfen, der noch heute mit schwerem Golde aufgewogen wird, wo er zu haben ist, und das zwanzigste Jahrhundert hat uns seither auch bereits zwei hervorragende Weinjahre beschert: 1904 und 1911. Beide zeichneten sich durch glühende Julihitze aus, und auch an

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