74 stäblich einzige Zerstreuung! Unter ihnen weilte er oft stundenlang — halbe Nächte — ordnete und sichtete oder ver¬ folgte ihre Bewegungen. Das war in seinen besseren Tagen, wenn er nicht allzu¬ traurig war. Oft aber — denn ich war vie in der Nacht mit ihm — konnte er Stunden und Stunden auf dem Boden sitzen, — ganz eingesunken — in sich zusammengekauert, er schien damals nicht auf die Schnecken zu achten, sondern fern ab, weit fernab — Gott mit den Gedanken zu weilen mochte wissen, bei wem und wo „ „ * „ und in diesen Stunden da tat er mir am meisten leid. Auch ich saß wie er auf dem Boden, ihn verstohlen betrachtend und wagte nicht mich zu bewegen, geschweige denn zu reden. Wir schwiegen so oft die halbe Nacht hindurch und die stillen Tiere umkreisten uns. In meinem Innern sah es aber zu solchen Zeiten ganz merkwürdig aus. Zu¬ nächst zerbrach ich mir den Kopf darüber, was wohl den Mann so traurig stimmte. Dabei empfand ich aber ein Mitleid zum Herz¬ zerbrechen. Ich glaubte öfters, ich könne das Schweigen, das um uns herrschte, nicht mehr länger ertragen, müsse hin¬ stürzen zu meinem Freunde, ihn umarmen, küssen, mit Tränen benetzen und um alles in der Welt bitten, doch ein klein wenig heiter zu sein. Ich getraute mich nicht. Nach Stunden hob sich dann endlich sein Blick. Wie erschütterte er mich stets dieser matte, vollkommen trostberaubte, hilflose Blick! Und indem er sich mir anft zuwandte — Gefühlsausbrüche kannte er ja nicht — bat er mich in solchen Momenten ganz demütig, ich möge ihm nicht zürnen, weil er so eigens sei; mich, den kleinen Jungen! O mein guter, unglücklicher Schnecken¬ mann! Wie habe ich darnach geschmachtet, doch einmal in seinen blassen Augen eine Träne zu sehen! Ich schwor darauf, sie müsse ihm Erleichterung bringen. — Mein Sehnen blieb unerfüllt. Aber Lebensfreude sah ich wohl manchmal an ihm! — Auch merkwürdig wann und aus welchen Anlässen! Es war dies damals, daß ich ihn aufleben sah, wenn von seiner Familie ein Glied ver¬ loren ging und erst nach längerem Suchen wieder gefunden wurde. In solchen Augenblicken leuchtetesein Auge auf, und jähe Röte überflog sein Gesicht. — Arme Freude des armen Mannes, der an dem sich begnügte — und auch da, wie wenn er sich er¬ innerte ein Unrecht begangen zu haben, gleich wiederum wehvoll zaghaft war! Und doch freute auch ich mich mit ihm, sowie ich seinen ganzen Kummer, solange das Tier nicht gefunden war, in tiefster Seele mitempfand. Meine Mutter stimmte mir bedingungs¬ los zu, da ich für den Mann ein so weit¬ gehendes Mitleid hatte, sie erhob auch keinen Einspruch, daß ich ihm, wie gesagt, manchmal halbe Nächte opferte; denn sie teilte meine Ansicht, daß ich durch mein Tun einem armen Mitbruder einen großen — Dienst erwies. Die Ausgänge meines Freundes er¬ streckten sich außer auf den Besuch der Gastwirtschaft zu den gewöhnlichen E߬ stunden, glaube ich, ausschließlich nur noch auf das Aufspüren und Heimholen von Schnecken. Hiezu wählte er regelmäßig die Morgenstunden nach einem nächtlichen Regen. Mich nahm er nie mit, so gern ich auch öfters sein Begleiter gewesen wäre. Zu bitten getraute ich mich nicht, da ich das Gefühl hatte, es wäre ihm nicht angenehm, von selbst lud er nicht ein. Ich empfand es manchmal sogar als eine Art Kränkung, daß er mich nicht an allem, was ein Leben ausfüllte, teilhaben ließ, und muß ihm dies noch heute abbitten; wie hätte er denn jemand kränken wollen, mein guter, guter Schneckenmann! Von seinem Tode: Der arme Mann starb — Hungers! Wir hatten Anzeichen, daß er in der letzten Zeit gewiß darbte und wir mühten
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