Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1922

das alle, „sagte der Administrator mit wehmutzitternder Stimme, „sein Helden¬ mut wird aber umsonst sein, so er nicht Leute genug hat zu erfolgreichen Wider¬ stand! Der Pater schritt zu einem großen, schön geschnitzten Schubladkasten, zog einen Schlüssel aus dem Habit hervor, öffnete damit eine verschlossene Lade, zog dieselbe heraus und hob daraus eine große, breite bauchiggefüllte Ledertasche hervor und reichte sie mit einiger Anstrengung dem erstaunt ihm zusehenden Mädchen hin. „Ich laß deinen Vater sagen, er soll jeden Kampf mit den Bauern bleiben lassen, sagte der Pater mit nachdrücklicher Betonung seiner Worte, „ich weiß ihm für das Kloster einen besseren Dienst. Bring ihm diese Tasche, sie enthält des er Klosters Gleink ganzes Vermögen“ sprach das Wort „Vermögen“ mit einem „und bitteren Hohn im Wortlaut aus die kostbarsten und ältesten Kirchenpara¬ mente, auch einige der ältesten Urkunden des Stiftes, von hohem Wert für dasselbe. Diese Tasche mit ihrem Inhalt in Sicherheit zu bringen, zu retten für ruhigere Zeiten ür das Kloster, ist deines Vaters größte Aufgabe; er soll dieses letzte Klostergut retten und bewachen — jetzt aber, Lene fort damit, eilt, eilt, weg damit von Gleink, du sagtest selbst, die Bauern können jeden Gott mit dir!“ Augenblick kommen — Der Pater machte leicht und flüchtig über das Mädchen das Zeichen des heiligen Kreuzes, Lene knixte und wollte dem Admini¬ strator die Hand küssen, der aber wehrte ungeduldig ab und hing ihr die schwere Tasche über den rechten Unterarm und schob das Mädchen zur Tür hinaus, dann trat er wieder ans Fenster und sah abermals zur Stadt Steyr hinab, äußerlich voll¬ kommen ruhig, nur das leise Trommeln seiner Finger an den Butzenscheiben und am Getäfel des Bogenfensters verriet seine innere Erregung. Lene aber schleppte die Tasche die Stiege hinab und begann dabei zu keuchen und stark zu atmen, denn die Tasche war „fürchterlich schwer“, wie sie bei sich das erwog. „Wenn ich nur aus 59 dem Kloster damit bin, draußen sind ich jawohl jemand, der mir tragen hilft, bis Försterhaus ist's ja nicht gar so zum weit Aber im Hofe mußte sie ihre kostbare Last niedersetzen, nicht weit von der Kirchen¬ tür, um sich ein wenig zu verschnaufen Der große Hof war vollkommen menschen¬ leer. „Auch gut“, murmelte Lene, sieht mich niemand, so weiß auch niemand, daß die Tasche gerettet wird — Maria! Mit Entsetzen war ihr das letzte Wort entschlüpft und ihre schönen, blauen Augen richteten sich starr nach dem ihr gegenüber befindlichen Eingangstor des Klosters, das eben kraftvoll aufgestoßen wurde und durch das zwei recht verwegen aussehende Bauern, bewaffnet mit Schwert und Hellebarde, hereinschritten, nein, mehr hereintorkelten, denn daß die zwei wüsten, in ihrer Ge¬ wandung zerlumpten und sonst wenig gepflegten Gestalten ein wenig angetrunken waren, das erkannte die Lene auf den ersten Blick. Was sie zu tun hatte, um sich und ihre Tasche zu retten, wußte sie wohl, bei diesem Anblicke nicht, aber sie war durchaus nicht verzagt, sie war aufgewachsen im Wald und Feld und daher an Gefahren aller Art so gewöhnt, wie an das rauhe, ewig unzufriedene, aufbrausende Wesen der Bauern, deren Gewohnheiten und Schwächen sie genau kannte. Lene blieb daher die Tasche schützend vor derselben stehen und erwartete, scharf jede Bewegung der sich ihr nähernden beobachtend, das Heran¬ kommen der beiden Bauern, die das Mädchen endlich auch erblickt hatten und stehen blieben. „Hoho, was ist das für ein Weibs¬ bild! fragte der eine den anderen mit dem Ellbogen anstoßend und dann nach der Lene hindeutend. „Weiß nicht“, erwiederte der andere, der jünger war als der Frager, „Heilige wirds ja keine sein, wollen sehen Und sie schritten, torkelten mehr zur Lene hin, die hochaufgerichtet, einen Arm unter der Brust, die zweite Hand an der Tasche, ruhig dastand.

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