Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1920

72 von der Ueberwachung seines Eigentums durch seine Leute auch nicht die beste Meinung haben kann — was sagen die Leute in der Kuchel dazu? haben die noch immer keine Anhaltspunkte zum Erfassen des Diebes, wie?“ „Leider nein,“ sagte Chilperich kopf¬ schüttelnd, „auch die Ludmilla sagt, es sei ihr die Sache ein Rätsel, sie kann alles bergen wie sie will, entdeckt wird alles und mitgenommen was nicht niet¬ und nagelfest ist — und wenn die Lud¬ milla nichts in Erfahrung bringen kann muß es wohl ein sehr geschickter Dieb ein, der seine Zeit abzupassen versteht, denn die Ludmilla ist just auch nicht au den Kopf gefallen und hat gar viel Ver¬ stand und Mutterwitz. „Ja, das hat sie,“ nickte der Burg¬ vogt beifällig das ergraute Haupt zur Ansicht des Chilperich hinzu, „du mußt das ja besonders wissen, den die Ludmilla scheint mit ihrem Verstand auch dich zu gängeln — was ist los? Chilperich war aufgestanden und sah und horchte plötzlich aufmerksam in das Gebüsch im Rücken des Burgvogts hinein. „Droben auf der Höhe wird gejagdt,“ sagte er und ich hörte da hinter euch Herr Burgvogt ein Geräusch, wie schleichende Tritte von oben herabkommen, kann sein daß sich irgend ein Getier von obenherab geflüchtet hat und uns ersehen und sich da drinnen geduckt hat, ich will doch ein¬ wenig Umschau halten. „Ohne jedwede Waffe doch nicht!“ rief der Burgvogt aufspringend und gab unwillkürlich dabei der Angelruthe mit dem Fuße einen Stoß, daß sie aus der Gabel herausfiel, „Gotts Blitz, du ver¬ dirbst mir mit deiner Wildriecherei den Fischfang!“ Aber Chilperich, der selber ein leiden¬ schaftlicher Jäger war, nicht nur einer den der Dienst dazu zwang, war schon im Gebüsch drinnen und der Burgvogt hörte das knacken der Zweige auf die des Knappen Fuß trat oder die er zur Seite bog, leise und abgemessen durch das Laub herausdringen und Reinhold anerkannte mit Befriedigung, daß Chilperich die Suche nach etwa im Busch verborgenem Wilde ganz jagdgemäß vornahm, was der Burg¬ vogt seiner Schule und seinen Lehren über Weidmannstun sich mit Recht zuschreiben konnte. Plötzlich drang aus dem Gebüsch die Stimme Chilperichs hervor, gedämpft und doch deutlich vernehmbar: „Herr Burg¬ vogt, kommt schnell, 's was zu schauen, ganz sonderbar!“ Der Burgvogt tastete sich ins Ge¬ büsch hinein und stieg einige Schritte auf¬ wärts. Da stand auf einem kleinen, flach verlaufenden Vorsprunge des Hügels, der kaum größer war als eine große Tisch¬ platte, gebückt, die Hände auf die Knie gestützt der Chilperich, sah den Burgvogt bedeutungsvoll an und winkte ihm auf einen noch recht jungen Ziegenbock hinzu¬ sehen, der, zitternd am ganzen Laibe und mit stierem Blick aus den aus den höhlen hervorquellenden Augen vor dem Knappen stand und wie gelähmt am Boden wurzelte. Der Burgvogt sah das angstvolldastehende schöne Tier und konnte sich erst einige Augenblicke nicht erklären, warum das Rehlein wie angeheftet auf die Erde vor dem Knappen stand, als er jedoch seinen Blick über die schlanke Gestalt des Tieres gleiten ließ, entschlüpfte ihm unwillkührlich ein leiser Ausruf des Erstaunens über das, was er als Ursache des sonderbaren Verhaltens des Rehböckleins sah und als Grund dessen Verhaltens ansehen mußte: um den linken Vorderlauf hatte sich eine mehr als fingerdicke Schlange gewunden und zischte und geiferte das gespaltene Zünglein gegen den Kopf des Rehes hinauf, machte aber keine Miene seinen Gegner zu beißen. Der von der Höhe des Berg¬ zuges vor dem Jäger flüchtende Rehbock mochte auf die unter dem Laube im Grase ruhende Schlange getreten sein und diese so unsanft aus ihrer Ruhe aufgestört, hatte zornig lden Lauf ihres vermeintlichen Feindes umschlungen und so das Reh¬ böcklein derart in Angst und Entsetzen gebracht, daß es aufs flüchten und sich zu wehren vergessen und nun wie Hilfe flehend in größter Not zitternd dastand.

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