Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

74 der Stadt Arbeiterversammlungen abge¬ halten. Die Haltung der Arbeiterschaft ist eine vollkommen ruhige. Zufolge der den russischen Kriegs¬ gefangenen nunmehr gewährten allzu großen Freiheiten sowie wegen der der¬ malen immer zahlreicher werdenden Ar¬ beitsverweigerungen und des Verlassens der Arbeitsorte dieser Kriegsgefangenen nehmen die Unsicherheit, die Gefahren für das Eigentum und die Belästigung der bäuerlichen Bevölkerung am Lande fortwährend zu und steigert sich zu einer wahren Landplage. Der Arbeiterausstand in der Oesterr. Waffenfabrik dauert unverän¬ dert ruhig an. Hinsichtlich der Forde¬ rungen konnte bisher kein Einvernehmen erzielt werden. Der Schleichhandel steht in wilder Blüte. Zucker, Seife, Petroleum, Tabak, Kerzen usw. sind die Tausch¬ objekte für Butter, Eier usw. Am 24. verlautbarte die Preis¬ prüfungsstelle Steyr die Richtpreise für die Gast= und Schankgewerbe in Stadt Steyr. Es stellt sich eine Suppe auf 30 bis 70 Heller. Rindfleisch, ohne Beilage auf 2 Kr., Rindsbraten auf 3 Kr. 20 H., Rindsgulasch auf 2 Kr. 40 120 H., Kalbsgulasch auf 3 Kronen, Schweinsbraten auf 5 Kr. 60 H., Selch¬ fleisch auf 5 Kr., Kalbsbeuschl auf 2 Kr. 40 H., bei einem Gewicht von 11 Deka bei Rindfleisch und 15 Deka bei Braten. Liter Wein kostet 2 Kr. 40 H., ½ Liter Most auf 50 H., ½ Liter Bier (gehaltloses Bräu) 1 Kr. 20 H., Pils¬ ner 2 Kr. 12 H. Am 19. mußte der Verkehr auf der Steyrtalbahn wieder eingeschränkt werden. 2 In den umliegenden Ortsgemeinden werden zu landwirtschaftlichen Arbeiten neben Russen, Serben, Italiener, auch Franzosen und Engländer beigestellt. Doch all die Zuweisungen von solchen Arbeitskräften bilden — mit Ausnahme der Russen, die tüchtige Landarbeiter sind eine nur schwache Hilfe, da diese außerdem nur 8 bis 9 Stunden Ar¬ beit leisten. So müssen wiederum die wenigen heimischen Arbeitskräfte dafür doppelt zugreifen. Da der Ausstand in den Waf¬ fenfabriken andauert und in größter Ruhe die Streiktage verlaufen, verlaut¬ bart am 11. das Stationskommando durch öffentlichen Anschlag, daß die Ar¬ beiter am 13. die Arbeit bedingungs¬ los aufzunehmen haben. — Am 18. ver¬ Mai=Juni. kündete ein öffentlicher Anschlag, gefer¬ tigt vom Generalmajor Edler v. Knapp, daß die in Ausstand getretenen Arbeiter der Oesterr. Waffenfabriken in Steyr und Letten am 21. die Arbeit bedin¬ gungslos aufzunehmen haben — Die Gastwirtschaften in und um Steyr lie¬ gend dürfen Speisen und Getränke nur von 11 bis 1 Uhr mittags und von 6 bis 9 Uhr abends verabfolgen. An den übrigen Stunden sind die Gasthäuser ge¬ schlossen zu halten. — Starke, unzählige Militärstreifwachen beherrschen die Stra¬ ßen, Arbeiter zur Arbeitsstätte führend. Trotz dieser scharfen Maßnahmen wurd — die Ruhe nirgends gestört. Am 21. wurde die Arbeit bedingungslos von der gesamten in Ausstand getre¬ tenen Arbeiterschaft aufgenommen. Am 23. wurde die angeordnete Beschlagnahme und Sperre der Obst¬ und Speiserübenvorräte in Oberösterreich außer Kraft gesetzt. Die Fronleichnamsfeier in der Stadtpfarre nahm am 30. bei pracht¬ vollem Wetter den gewohnten prunkhaf¬ ten festlichen Verlauf. Die in der inneren Stadt errichteten Altäre sowie viele Häu¬ er waren hübsch geschmückt. Am 16. wurden die Brennholz¬ höchstpreise verlautbart. 1 Raum¬ meter Scheiter kostet 28 Kr., Prügelholz 27 Kr., Kleinholz, 1 Bund 1 Kr. 50 H., 1 Bürdl 28 H. Im Mai gab es 10 Regentage. Mit Monatsanfang lag die Schneegrenze noch bei 1500 Meter, mit Monatsschluß sind die Berge bis auf nordseitige Mul¬ den schneelos. Die Windrichtung war überwiegend östlich, die Windstärke mäßig. Juni. Am 1. Juni steht dem Gendarme¬ rie=Abteilungskommando in Steyr ein Rittmeister vor. Die Verschleppung von Le¬ bensmitteln wird trotz strengster Durchsuchung der Reisegepäcke am Bahn¬ hof und Beschlagnahme der Lebensmittel

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