60 Licht erschien und verschwand in bestimm¬ ten Zwischenräumen. Kurze und lange Blitze wechselten ab. (Als der Harrende genauer Achtung gab, kam er wie durch eine Eingebung darauf, daß es Morse¬ zeichen sein könnten. Aber wer sollte wohl an der Haffküste die kennen? Er selber kannte sie wohl, hatte er beim Militär doch einen Lehrgang als Winker durchgemacht. Und jetzt las er richtig aus den Lichtzeichen: „Aushalten, ich komme!“ Im Nu hatte er seine elekt¬ rische Taschenlampe in der Hand und gab zurück: „Verstanden, ich warte!“ „Ich komme!“ leuchtete es nochmals vom Ufer her. * Gertrud Gemballa, die Tochter des Gastwirts von Steinort, war aus der Provinzialhauptstadt nachhause gekom men. Ihr Vater brauchte sie, undso hatte sie die Arbeit am Klappenschrank des Telegraphenamtes verlassen. Der Wechsel gefiel ihr nicht übel, denn am liebsten war sie doch immer daheim ge¬ wesen. Der Gasthof von Steinort hebt sich mit seiner weißen Giebelwand die der Wasserfläche des Haffes zuge¬ kehrt ist, weithin ab. An ihm erkennen die Schiffer, daß sie sich auf der Höhe von Steinort befinden. Trude Gem balla hatte abends frühzeitig die Läden geschlossen. Die wenigen Gäste hatten sich bald verzogen, der Vater hatte sich zur Ruhe begeben. Trude Gemballa war nach dem Stall hinübergegangen, um nachzu¬ sehen, ob die beiden Kühe auch für die Nacht gut versorgt seien. Der heftige Tauwind vom Haff her ließ ihr Haar flattern. Vom Eis kam ein Krachen und Knallen. „Das Eis geht auf,“ sagte das Mädchen zu sich. Da war ihr, als ob sie zwischen den Stößen des Windes und dem Geräusch des Eises noch einen an¬ deren Ton vernähme, den Ton einer Menschenstimme. Sie horchte angestrengt in die Nacht hinaus. Aus der Nichtung des Steinorter Hafens her trug jetzt deutlich der Wind den Ruf: „Hallo Hilfe!“ — „Mein Gott,“ sprach Trude, „da ist ein Mensch auf dem Haff. Wahr¬ scheinlich kann er nicht herüber. Das Eis am Hafen war ja schon heute nach¬ mittags um 4 Uhr offen.“ Entschlossen holte sie die Laterne aus dem Stall, schwenkte sie hin und her und rief: „Ich komme!“ Aber der Wind würde ihre Worte wohl kaum an das Ohr des Hilfesuchenden dringen lassen, daher dachte sie daran, Lichtzeichen zu geben. Gewohnheitsgemäß gab sie ihnen die Sprache der Morsezeichen. Hilft es nichts, weil er es nicht versteht, so schadet es auch nichts, dachte sie dabei. Da blitzte auch drüben ein Licht in unregelmäßigen Zwischenräumen auf, und es war zu ihrem Staunen in der Tat eine richtige Antwort auf ihre Botschaft. Gertrud war ein entschlossenes Mädchen. Sie war am Haff geboren und wußte auf dem Wasser Bescheid. Rasch schritt sie zum Hafen hinab, löste ein starkes Boot, kreuzte den Hafen und fand auch die Spalte im Eis, die so breit war, daß sie darin gut vorwärts rudern konnte. Nach einer Weile ange strengten Arbeitens gegen die Böen, ab und zu einen ermunternden Ruf aus¬ stoßend, der aus immer größerer Nähe beantwortet wurde, bemerkte sie die Ge¬ stalt eines Mannes, gegen den Himmel sich abhebend. Der Verirrte erklärte mit kurzen Worten seine Lage und leistete der Auf¬ forderung, einstweilen mit nach Stein¬ ort zu kommen, gerne Folge. Er wollte selbst zum Ruder greifen, aber Trude erklärte ihm, daß sie das Fahrwasser besser kenne. So gelangten sie ohne viel Worte ans Land und ins Gasthaus. In der Stube nötigte Trude ihrem Gast ein Glas Grog auf und ließ ihm ein Zimmer im Oberstock herrichten, wo sonst Sommergäste untergebracht worden waren. Reinhold Fröse dankte seiner Retterin mit herzlichen Worten und ge¬ riet mit ihr in ein lebhaftes Gespräch. Unbefangen stand man sich gegenseitig Rede und Antwort, und ganz zufrieden
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