56 welche Weise er diesem Störer seiner Morgenruhe vertreiben könnte. Eines Morgens war der Ingenieur durch besonders gräuliches Geblase sei¬ tens des „Halters“ geweckt worden, und gerade hätte er Ruhe dringend bedurft, da er erst kaum eine Stunde vorher nach Hause gekommen war. „Dieser elende Mensch,“ rief er zornentbrannt, das Bett verlassend, „ich darf ja eigentlich nur schlafen, wie lang es dem „Halter“ beliebt — der ist im Stande mir noch die Gelbsucht zu verschaffen! Das muß ein Ende nehmen!“ Und in seinem Aerger trat er an das Fenster und sah hinaus. Richtig, da stand der „Halter“ gerade vor seinem Fenster und nahm eben einen tüchtigen Schluck aus seiner Feldflasche. Bei die¬ sem Anblicke überkam dem Ingenieur eine förmliche Offenbarung. Jetzt glaubte er das Mittel gefunden zu haben, den „Halter“ von hier gründlichst zu ver¬ treiben. „He, Freund,“ rief er ihm laut und so liebenswürdig, als es ihm seine Aufregung erlaubte, zu. „Ihr seid wohl schon lange Gemeindehirt?“ Der Angesprochene sah dem Spre¬ cher verwundert und mischtrauisch an, bequemte sich doch lauernd zu erwidern: „Freili, schon über zehn Jahr warum fragt's denn?“ „Na — hm — weil ich mir schon oft gedacht hab', so gut blasen wie ihr, kann nur ein Mensch der sein Handwerk schon lange betreibt,“ log der Ingenieur mit dem freundlichsten Lächeln, das er zusammenbrachte. „Freund, ihr blast aber wirklich gut!“ „So, so,“ sagte der Halter ge¬ schmeichelt, und schmunzelnd strih er 8 mit der ungewaschenen Hand über sei¬ nen ruppigen Bart, „g'falln eng meine Stückl?“ „Na, und ob,“ behauptete frech der Ingenieur, „blasen hör' ich noch viel lieber, wie Klavierspielen! Sagt, blast's ihr immer an dieser Stelle?“ „Gewöhnlich,“ erklärte ernst der Halter. „'s kommt wohl manchmal vor, daß ich da weiter unten blas, aber das ist eine Seltenheit. Ich bin an das Platzerl schon so gewohnt „Na, das ist wirklich schön,“ sagte der Ingenieur recht freundlich, „und trifft sich für mich recht gut. Wißt ihr was, lieber Freund, damit ihr nicht ver¬ geßt, wo mein Fenster ist, so blast nur jeden Tag recht fleißig dahier— da¬ für kriegt ihr jeden Tag ein Stamperl guten Slibowitz! Wartet, wir machen gleich den Anfang damit!“ Der Ingenieur verschwand vom Fenster, um gleich darauf mit einer Flasche und einen Gläschen wiederzu¬ kehren, worauf er einschenkte und den hocherfreuten Halter das volle Gläs¬ chen hinausreichte, der es schmunzelnd annahm und austrank, worauf er zur Aufmunterung noch ein zweites Gläs¬ chen voll erhielt. „Dank schön, Herr,“ sagte hierauf der Halter, „ihr könnt's eng verlassen drauf, daß ich mich jeden Tag pünktlich da einstellen werd'! Heutzutag gibt's eh schon auch Leut', die unmusikalisch san und do muß man schon was tun, für o einen braven Herrn, der die Musik so gern hat!“ „Kommt nur, Freund, kommt nur,“ eiferte der Ingenieur ihn an, „ein Ver¬ gnügen ist des andern wert!“ Und damit war der schöne Bund geschlossen. Der Halter kam täglich um die bestimmte Stunde, tutete sein „Lie¬ lein“ herunter und erhielt jedesmal als Lohn dafür, nebst schmeichelhaften Wor¬ ten, zwei, oft auch drei Gläschen Sli¬ bowitz und der Ingenieur versicherte ihn jedesmal, daß er sich an das Blasen so gewöhnt habe, daß es ihm unendlich leid täte, das Morgenständchen zu ver¬ missen. Das dauerte so fast drei Wochen. Da, eines morgens, blieb das Fenster des Ingenieurs trotz der ohrenzer¬ reißendsten „Musik“ des Halters ge¬ schlossen. Der „Musikant“ wiederholte
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