dürfen sie nicht denken, daß es so schlecht um sie steht, sonst hätten die Aerzte wohl den weiten Transport nicht er¬ laubt. Es wird schon alles recht, nur Mut, Kamerad Jutta Hagen ruhte in dem be¬ quemen Schaukelstuhl im Wohnzimmer der mit feinem Geschmack ausgestatteten Wohnung und horchte angespannt auf die Flurglocke. Es war um die Zeit, da die Nachmittagspost kam, und sie er¬ wartete Nachricht von ihrem Gatten. Es war keine glühende Leidenschaft, die sie zu dem viel älteren Manne ge¬ zogen. Sie empfand nur tiefes Ver¬ trauen und aufrichtichtige Freundschaft. Richard Hagen freilich trug seine junge, schöne Frau auf Händen und erfüllte ihr jeden Wunsch. Seit sie ihm die kleine Erika geschenkt, vergötterte er sie. Aber Glück war nur kurz gewesen; schon das einem Jahre mußten sie die Kleine nach wieder hergeben. Frau Jutta erhob sich seufzend und trat zum Fenster. Wie endlos lang die Stunden waren . .. lang und einsam. Der Krieg brachte ihr freilich Ar¬ beit, soviel sie nur wollte, aber die rechte Befriedigung fand sie nicht. Wa¬ rum mußte sie soviel entbehren im Leben? Sie hatte niemand, der sie so recht brauchte, der ihrer Liebe bedurfte, dem sie diese Liebe schenken konnte. Ihrem Manne gegenüber kam sie sich elbst fast noch als Kind vor, er war auch um so vieles älter. Und sie hatte doch solch überreichen Schatz an unver¬ brauchter Liebe, daß sie nur immer geben wollte, mit vollen Händen. Man beneidete sie und hielt sie für glücklich, und doch war sie es nicht so recht. Sie war es nur einmal gewesen, da sie die Liebe von Karl=Heinz besessen ... „Karl=Heinz,“ sagte sie, und ein weicher, schmeichelnder Ton lag in ihrer Stimme. Aber dann hob sie plötzlich, fast unwillig den Kopf. Nein, sie durfte und wollte nicht daran denken . ... Das war sie ihrem Gatten schuldig. Es war ein entschwundener Mädchentraum. 117 Sie hatte es ja gewußt, daß er nie in Erfüllung gehen könne, selbst dann nicht, wenn sie warteten, bis Karl¬ Heinz Hauptmann war. Sie konnte nichts mit in die Ehe bringen als eine kärgliche Aussteuer, und das Vermögen, das Karl=Heinz besaß, reichte kaum zur Kaution. So waren sie schwer, aber ohne Bitterkeit von einander gegangen. Einmal noch hatte sie den jungen Offizier mit seiner Frau, einer reichen Amerikanerin, gesehen. Sie selbst hatte bald nachher, wenn auch nicht freudig, so doch dankbar, die Hand Richard Hagens ergriffen, die sie in ein ge¬ sichertes, behagliches Leben führte ... Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken. Das Zimmermädchen brachte die Post und Zeitungen. Jutta hatte ganz die Flurglocke über¬ hört. Wie sie erwartet, war ein Brief ihres Gatten darunter. Sie drehte das elektrische Licht auf und begann zu lesen. „Meine liebe Jutta! Heute komme ich mit einer Bitte zu Dir, aber ich weiß im voraus, es ist eine Freude, die ich Dir bereite. Seit einiger Zeit ist meinem Ba¬ taillon ein junger Hauptmann zugeteilt. Karl=Heinz Rechlin ist mir in kurzer Zeit ein lieber Kamerad geworden. Er hat sich eng an mich angeschlossen und mir tiefen Eindruck in sein Leben ge¬ währt. Seine Ehe mit einer Aus¬ länderin ist nicht glücklich. Gestern er¬ hielt er nun von ihr eine Nachricht, die in tief getroffen. Das große Glück, das wir kaum besessen, weiß sie nicht zu schätzen. Das einzige Kind, einen dreijährigen Jungen, gibt sie unter fremde Leute, während sie, um wohl nie mehr zurückzukehren, zu Ver¬ wandten in die Schweiz reist. Daß sie ihn verläßt, geht Hauptmann Rechlin nicht sehr nahe, das habe ich wohl be¬ merkt; aber der Kleine. Was der Vater, der sein Kind abgöttisch liebt, leidet, kannst Du wohl begreifen? Ich bot ihm
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