Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

„Nun wir begegneten ihr doch ein¬ mal, wie sie mit ihrem Manne daher¬ kam. Der hatte sie doch früher, als sie noch bei uns war, öfter besucht. Und nun sagte der Vater zu ihr: „Ihr Mann kommt mir so bekannt vor! Ist das nicht früher einmal Ihr Bräutigam gewesen?“ „Nein, so etwas!“ rief die Kusine, und alle drei lachten über diese kleine Schwäche des so guten Hausvaters. Der Professor sah ein, daß es sich heute um einen Ehrenpunkt handelte. Er was vergessen! und Stracks ging er zur Drogerie und käufte eine Flasche Kölnisches Wasser. „Herr Professor, Ihr Regenschirm!“ diesen Worten lief ihm der Ver¬ Mit käufer nach. „Ach, danke sehr!“ Der Professor trug nun die Flasche sorgfältig in der Hand und landete glück¬ lich beim Kollegen Ortmann. Das Gespräch war nicht wissenschaft¬ licher Art, sondern handelte von for¬ Universitätsangelegenheiten, es mellen daher nicht ins Uferlose, sondern ging endete verhältnismäßig bald. „Herr Kollege, Ihr Paketchen!“ rief Professor Ortmann nach und gab ihm ihm die Flasche in die Hand. „Ach, danke sehr!“ Professor Grübel begab sich jetzt auf den Heimweg. Dieser führte zufällig an der Köppelschen Buchhandlung vorüber und wer wollte es dem Professor ver¬ denken, wenn er das Schaufenster mu¬ sterte? „Wie? Eine neue Broschüre über die babylonischen Funde?“ Kaum hatte der Professor diese Worte ausgestoßen, als er bereits in der Buchhandlung stand und die Broschüre verlangte. Er stellte die Flasche auf den Laden¬ tisch — an einer entlegenen Stelle zwi¬ schen zwei Bücherhaufen — und schlug die Broschüre sofort auf. Dann zahlte er und verließ weiterlesend den Laden. Erst als ihn auf der Straße ein Kind mit dem Korb, den es trug, an seine Fort¬ bewegungsapparate gestoßen hatte, fie 113 ihm ein, daß er ja nicht in seinem Heim sei, und er beeilte sich nun, dies zu er¬ reichen. Sofort ging er auf sein Zimmer und verschlang die ihn sehr interessierende Broschüre. Trotz dieser geistigen Speise ver¬ schmähte es der Gelehrte jedoch nicht, nach einer Stunde der Einladung seiner Gattin zum Mittagessen zu folgen. Als man die Suppe gelöffelt hatte, fragte die Frau Professor so nebenbei: „Nun lieber Theobald, die Flasche Köl¬ nisches Wasser hast Du doch wohl ver¬ gessen?“ Dem Professor fiel sofort die Szene in der Drogerie ein, und rief vorwurfs¬ voll: „Wie kannst Du so etwas denken, liebe Klothilde? Natürlich habe ich das Kölnische Wasser gekauft!“ „Ach, dann entschuldige!“ sagte die Gattin. „Wo hast Du es denn? „Hm!“ machte der Professor und be¬ gann in allen Taschen zu suchen. „Weißt Du, sagte er dann nach einigem Nach¬ denken, „die habe ich in der Buchhand¬ lung, wo ich eine Broschüre kaufte, auf dem Ladentische stehen lassen!“ „So, na dann ist's gut! Ich möchte sie gern bald haben, da kann ja Luise gleich nach Tische einmal hingehen und sie holen. Die Frau Professor begab sich dann, als man beim Kaffee saß, in die Küche und sagte dem Mädchen: „Luise, gehen Sie doch einmal in die Marnetsche Buch¬ handlung! Sie waren ja schon öfter dort und haben Pakete hingetragen, mein Mann kauft ja immer dort!“ „Jawohl, gnädige Frau, die weiß ich!“ sagte das Mädchen, das erst einige Zeit bei Professors in Stellung war. „Sagen Sie also eine Empfehlung von Herrn Professor Grübel, und er hätte dort auf dem Ladentische eine Fla¬ sche Kölnisches Wasser stehen lassen. Die hoken Sie dann!“ „Jawohl, gnädige Frau!“ sagte das Mädchen und ging. 15

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