Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

110 Brust getobt hatte und viel mehr Liebe als Haß war, lostoben „So also bist du,“ schrie sie außer sich, „du bist doch eine echte Stief¬ — — du willst mir die Hei¬ mutter — du willst mich hin¬ mat nehmen —— ausstoßen in die Welt ich soll das nicht mehr hergehören willst du das ist deine große ich wußte es ja — Liebe du bist doch nur eine Stiefmutter Die letzten Worte waren fast vom Schluchzen erstickt, die runden Kinder¬ tränen liefen über die schmalen Wan¬ gen des Mädchens. Diesen Ausbruch hatte die Mutter doch nicht erwartet. Einen Augenblick aß sie wie gelähmt, dann ging sie schnell hinaus, um vor dem Kinde ihre Tränen zu verbergen. Dies Werk war — hoff¬ doch schwerer als sie geahnt nungslos ließ sie den Mut sinken, sie ühlte sich zu elend, um weiter käm¬ pfen zu können. Andern Tages teilte der Vater seiner Tochter sehr kurz mit, daß sie ihre Sachen packen und mit ihm nach Frankfurt fahren solle, das Weitere werde sich finden. Käte sagte nicht ein Wort. „Natürlich,“ dachte sie; „es geht alles wie im Märchen, nun hat sie den Vater auch schon zu meinen Ungunsten — gestimmt Tante Lene nahm sie scharf an die Sie mußte früh: heraus, Kandare. mußte tüchtig helfen und gewissenhaft für ihre Stunden arbeiten. Sie lernte allerlei Handarbeiten und bekam Kla¬ vierstunden, da sie viel Begabung da¬ für besaß und bei dem Vater gute Fortschritte gemacht hatte. Die Zeit — Arbeit und wieder flog nur so hin Arbeit, dabei tadelte die Tante viel und sah ihr nichts nach Von Haus kamen ab und zu Pakete, und immer fanden sich eine Tafel Scho¬ kolade, eine Tüte Konfekt, ein paar schöne Aepfel unter den nützlichen Sachen. Aber nie ein Brief von der Stiefmut¬ ter, nur immer ein kurzer Gruß auf dem Abschnitt. Die Briefe schrieb der Vater ab und zu, kurz und bündig, wie es seine Art war. Auch zu den Weih¬ nachtsfeiertagen sollte Käte nicht nach¬ hause kommen, nein, der Vater hielt das für besser so, die Brüder kämen auch nicht. Käte wütete innerlich. Nun ja, die alte Bormann hatte schon recht, die Stiefmutter biß die Kinder alle heraus, nicht mal zu Weihnachten war Platz für sie daheim. Und doch klopfte das Herz des dummen Bacfischchens ge¬ waltig, als die Mutter ihr eine schön gestickte Bluse schickte, die sie selbst ge¬ arbeitet hatte Ostern fiel Anfang April, dazu sollte Käte heimkommen, hatte der Va¬ ter geschrieben. Aber schon Ende März. wurde sie heimgerusen, die Mutter liege hoffnungslos krank. Sie reiste mit be¬ benden Gliedern und hatte das Gefühl, als hätte sie das Unglück verschuldet. Daheim lag das Haus mit verhängten Fenstern und still wie eine Kirche. Der Vater rief Käte in die Schulstube. Ein Brüderchen sei ihr geboren, aber der Mutter würde es voraussichtlich das Leben kosten. Dabei hatte der Vater Tränen in den Augen. Käte begriff diese Tränen nur zu gut. Ein Grausen ging durch ihre Seele, als griffe der Tod schon hinein, so kalt, so grausam, so wehe. Die Mutter sollte von ihnen gehen, es sollte wieder so öde und licht¬ —— wieder los werden wie früher sollte sie sich quälen mit ihrer halbwüch¬ sigen Kraft und nichts zustande bringen es war entsetzlich, es war Und schlim¬ nicht auszudenken mer noch. Käte machte sich die bitter¬ sten Vorwürfe, daß sie der Stiefmutter ihre Liebe so schlecht gelohnt und ihr damals so ungezogene und kränkende Worte ins Gesicht geschleudert hatte. Sie wollte zu ihr hin und wenigstens Abbitte tun.

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