Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

der Stieftochter und tat alles, was ihr zum besten diente und sie vorteilhaft erscheinen ließ. Mit der Zeit ging Käte sogar der Stiefmutter in der Wirtschaft zur Hand. Sie hatte sich fest vorgenommen, das nie zu tun, sich so ungeschickt als möglich anzustellen, aber alle diese Vor¬ haben ließen sich wirklich nicht aus¬ führen — beim besten Willen nicht. Sie konnte sich sogar nicht verhehlen, daß sie sehr gern bei der Stiefmutter war, daß es sie ordentlich dahin zog. Ehe sie sich's versah, stand sie draußen bei ihr in der Küche. „Darf ich dir helfen?“ fragte sie schüchtern. „Aber natürlich, Herzchen, ich freuc mich, wenn du bei mir bist. Komm', quirle dies Ei, und hier tu noch etwas Mehl dran — so, mein Schatz, du machst das ausgezeichnet. Und nun wol¬ len wir noch schnell die Rübchen zu morgen putzen Das war eine angenehme Arbeit. Sie saßen beide ganz dicht beieinan¬ der, und die Mutter erzählte eine lustige Geschichte nach der andern, und sie lachten beide laut auf vor Vergnügen, daß es der Vater bis in die Schul¬ stube hörte und ein glückliches Lächeln über sein Gesicht glitt ob dieses doppel¬ stimmigen, silberhellen Lachens. Dann arbeiteten sie auch zusammen im Garten, und das war erst recht amüsant. Die Mutter hatte eine so liebevolle Art, alles gut zu behandeln sie redete selbst mit den Blumen und hatte ein so feines Verständnis für die Natur, wie Käte es nie geahnt. Sie lernte die Welt mit ganz anderen Augen ansehen, lernte Vögel und Blu¬ men kennen und lernte das wichtigste des Lebens — sie lernte die Arbeit lieben. Denn die Mutter liebte die Ar¬ beit und machte aus jedem Werktag ein Fest. Selbst die Wäsche war ein Vergnügen und die Waschfrau ver¬ sicherte mit breitem Munde, daß sie 109 nirgens lieber hinginge als zur Frau Lehrer. Und zur Frau Schulzin sprach sie im Vertrauen ihre Verwunderung aus, daß eine so feine Frau einenso schlichten Lehrer genommen habe, wirk¬ lich, sie müsse sich wundern, denn die neue Lehrern wäre was Feines. Aber die Schulzin wollte auf ihren Lehrer auch nichts kommen lassen und meinte: „Na, er ist ja auch nicht von schlehten Eltern und sieht weit über unsere Hecken weg, wie der Superintendent zu 77 meinem Mann gesagt hat So ging der Sommer hin, und der Herbst kam in leuchtenden Farben und zog weiße Fäden über Wiesen und Felder und Wege hin und spann die Menschen darin ein, wenn sie in der Sonne daherkamen, und gaukelte ihnen noch einmal Träume vor und ließ sie vor ihnen hertanzen wie feine Spinnweben. Auch auf Frau Hedwigs Weg flatterte ein lichter Traum, der im Frühling Wirklichkeit werden und ihr Glück unfaßbar groß machen wollte. Und sie nahm Kätchen noch fester in ihren Arm und wollte sich an diesem Kind das Glück verdienen, das Gott ihr zuteil werden ließ.— Mit den Söhnen ihres Mannes hatte sie es so leicht gehabt, die kamen ihr schon drei¬ viertel des Weges entgegen, aber mit Käte war sie noch immer nicht auf dem rechten Fleck. Eines Tages saßen sie einander am Nähtisch gegenüber. Käte mühte sich ziemlich vergeblich an einer modernen Stickerei und warf die leuchtend bun¬ ten Farben unmutig durcheinander. „Nun, Kätchen, nur nicht ungedul¬ dig, vielleicht lernst du das alles ein¬ mal gründlich — Vater sprach schon da¬ von, dich diesen Winter über zu Tante Lene nach Frankfurt zu geben, da ließe sich das alles machen —“ Es war so liebevoll und herzlich gesagt, aber Käte fuhr auf, als hätte sie eine Schlange gebissen. Sie schleu¬ derte die Arbeit von sich und ließ den Sturm, der all die Monate in ihrer

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