108 lieber dumm bleiben und zur Stief¬ mutter aufsehen, wie zum lieben Gott“. Und sie warf den Kopf in den Nacken und ging trotzig am Vater vor¬ bei in das Haus. Der sah ihr kopfschüttelnd nach. „Es ist die höchste Zeit,“ — mur¬ melte er — „nun, Hedwig wird schon — mit ihr fertig werden Vierzehn Tage später zog die Stief¬ mutter ins Haus ein. Sie war groß, schlank, sehr blond und hatte sehr zarte Farben und große blaue Augen. Das alles sah Käte schon, als die neue Mut¬ ter aus dem Wagen stieg. Sie fand sie überhaupt überraschend jung, denn Käte hatte geglaubt, mit fünfunddreißig Jahren wäre man längst alt und ver¬ hutzelt. „Nun ja, sie wird immer jung und schön sein wollen, und unsereinen wird sie am liebsten mit Möhrensaft einrei¬ ben, damit man gelb und häßlich wird.“ Die neue Mutter kam Käte mit großer Freundlichkeit entgegen und wollte sie küssen. Aber Käte stand stock¬ steif und zog eine sauere Miene. „Ich danke für den Judaskuß,“ grollte sie innerlich. Der Vater zog die Stirne in Fal¬ ten und wollte ein Donnerwetter vom Stapel lassen. Aber die neue Mutter deckte ihm die auffallend schöne Hand auf den Mund. „Nicht schelten, Hermann, sieh, das Kind kennt mich doch nicht, woher soll es mich denn lieben“ — und als Käte hinausgegangen war, weil sie sich doch schämte — „laß mich nur machen, laß mir nur hierin ganz freie Hand, ich 77 — dich bitte Es war die erste Bitte, die sie an ihn richtete, und er versicherte, er wolle sich mit keinem Wort dahineinmischen, wenn sie es so haben wollte. Nachdem der erste Freudenrausch vorüber und der Hochzeitskuchen ver¬ zehrt war, nahm das Leben seinen alten Lauf. Und doch, nein, es war anders. Man hatte das Gefühl, als sei alle Tage Festtag — so sah es immer in der kleinen Wohnung aus. Ueberall lagen kunstvolle Decken, immer glänzte das Tischzeug schneeweiß, nie fehlte etwas oder wurde etwas ver¬ gessen —überall standen Blumen, immer gab es eine kleine Ueberraschung, einen Leckerbissen, auf den man nicht gefaßt gewesen war. Käte kämpfte geradezu gegen das wohlige Gefühl, das sie jeden Tag von neuem empfand, sie wollte es sich durch¬ aus nicht eingestehen, daß das Leben so schön wie noch nie und das Heim so heimatlich als möglich war. Nein, sie wollte nicht an die Güte der Stief¬ mutter glauben, und doch empfand, sie sie täglich aufs neue. Es begann schon morgens das Glück. Während sie sonst früh heraus gemußt und verschlafen den Kaffee gekocht hatte, durfte sie sich jetzt im Bett dehnen, so lange es ihr behagte. „Ich glaube, du brauchst jetzt Schlaf, Kätchen,“ sagte die Mutter freundlich, „es gibt solche Zeiten im Leben, wo man schlafen muß. Also schlaf nur vor¬ läufig tüchtig aus, nachher stehst du um¬ so lieber früh auf.“ Und Käte schlief bis in den hellen Tag und stand dann sehr vergnügt auf. Ab und zu kam die Mutter zu ihr hin¬ ein, ganz kameradschaftlich und scherzte mit ihr wie eine gute Freundin. „Weißt du, Kätchen,“ rief sie ein¬ mal, „du wärest noch viel frischer, wenn du dich von oben bis unten kalt waschen würdest — du glaubst nicht welch ein 77 Hochgenuß das ist Käte fand das beinahe verdreht, versuchte es dennoch und fand allmählich viel Genuß daran. Auch mit dem Anzug half die Mutter Kätchen da und dort zurecht. Sie zeigte ihr, wie sie das Haar pflegte und vorteilhaft ordne, schenkte ihr einen hübschen Kragen, ein buntes Band zu dieser oder jener fahlen Bluse, die ihrem Teint nicht gut stand — kurz, sie mühte sich immerfort um das Wohl
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