Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

107 C 828 S 28 22 Die Stiefmutter. Erzählung von Anna Grack. (Nachdruck verboten.) meinte, die alte Bormann wäre klug Pa ja, du wirst ja sehen, wie 77 und müsse das Leben kennen. #du's hast Sie legte deshalb kummervoll ihr „Ist denn eine Stiefmutter wirklich Köpfchen auf die braunen Kinderhände so was Schreckliches und sagte nochmals, träumerisch in die „Ei natürlich, was soll's denn an¬ Ferne blickend: „Ich möchte schon weg, ders sein? Laß dir sagen, Kätchen, aber wohin wenn'm Kind die Mutter wegstirbt, ist's „Wo sollst'n hin, Kind, und dann schlimm, aber wenn's dann'ne Stiefmut¬ geht hier erst recht alles koppüber kriegt, ist's zehnmal schlimmer dran ter koppunter, und wenn du wieder kommst, Sieh mal, die denkt doch bloß an hast'e überhaupt keine Heimat mehr.“ sich und möcht' die andern Kinder mit Käte tat sich selber leid bei die¬ — aller Gewalt rausbeißen sen trüben Aussichten für das Leben. „Ich ging am liebsten schon selbst,“ „Die Brüder haben's gut, die sind meinte Käte unmutig und reckte die nicht zuhause,“ meinte sie trübe. lange, hagere Backfischfigur über den „Werden's auch merken,“ eiferte Lattenzaun weg. Sie war noch etwas die alte Here, „aber freilich, du am unentwickelt, diese fünfzehnjährige Käte ersten, und laß dir nichts gefallen,“ fuhr des Lehrers Tochter, die der alten Bor¬ sie eindringlich fort, „gleich von vorne¬ mann ihr Leid klagte, daß der Vater rein aufgetrumpft, nachher dann ist's nun doch wieder heiraten und daß sie zu spät, da tritt sie dich mit die Füße“. eine Stiefmutter haben würde. Aber Käte nickte schwermütig und ging sie versprach niedlich zu werden, wie sie den schmalen Fußweg nach dem Lehrer¬ jetzt so herb und ablehnend dastand und hause hinauf. Ein bunter Teppich von der Wind mit ihren krausen, braunen Veilchen, Gänseblümchen und Hahnenfuß Haaren spielte. Ein linder, weicher Früh¬ blühte rechts und links zu ihren Füßen, lingswind war es, der den Menschen ihre aber sie sah die Schönheit nicht viel neue Hoffnungen vorspiegelte und Gedanken weilten in der Zukunft und sie hinauslockte in die blaue Ferne, da¬ sahen die trüben Bilder, die die Alte mit diese Hoffnungen Erfüllung würden. gemalt hatte. Die alte Bormann, der sich das Der Vater stand in der Haustür Kind in seiner Haltlosigkeit anvertraute, „Was hast du denn soviel mit der war die größte Klatschbase des Dorfes alten Bormann unten zu reden?“ fragte und eine Zeter sondergleichen. Sie ließ er unmutig, „von der wirst du nicht an anderen Menschen kein gutes Haar, viel Gutes lernen — vielleicht aus Aerger darüber, daß an „Aha, dachte Käte; „Vater merkt ihr selbst nicht ein Zoll etwas wert war! schon, daß sie mich aufgeklärt hat, na¬ Aber Käte durchschaute das noch nicht türlich, das paßt ihm nicht, ich soll mit ihren dummen fünfzehn Jahren, sie 147

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